Letzter Tag der Verhandlungen in Bonn – wo steht der UN-Prozess?

Vielleicht ist es mit den Klimaverhandlungen ein wenig wie mit dem Wetter draußen: die sonnige Stimmung verspricht mehr, als die Substanz hergibt. Draußen erfreuen die ungewohnt hohen Temperaturen und der blaue Himmel und täuschen die wintermüden Menschen leicht darüber hinweg, dass noch fast alle Bäume kahl und der letzte Nachtfrost noch nicht ausgestanden ist.

Im Konferenzzentrum des Bonner Maritims ist die Stimmung wesentlich besser als während der frustrierenden winterlichen Klimagipfeltage im polnischen Poznan vor vier Monaten – dabei gibt es dafür eigentlich keinen Grund.

Die Verhandlungen sind nach wie vor festgefahren, die Klimadiplomatie steckt in der Klemme. Bis zum Kopenhagen Gipfel im Dezember 2009 bleiben lediglich acht Monate und in den Schlüsselfragen eines zukünftigen Klimaabkommens ist kein substantieller Fortschritt erkennbar. Die winzigen Schritte, die mal vor und mal zurückweisen, genügen bei Weitem nicht, die Welt auf einen neuen Entwicklungspfad zu setzen.

Die beiden Akteure, auf die trotz zahlreicher Enttäuschungen in Poznan viele noch die meiste Hoffnung gesetzt haben, um die Verhandlungsdynamik zu beleben, haben maßgeblich versagt. Zwar hat der Auftritt des US-Chefunterhändlers Todd Stern in Bonn tobenden Beifall geerntet und ist es Balsam für die Seele zu hören, dass auch die USA die Klimawissenschaft ernst nehmen und gewillt sind, ihren Beitrag zu leisten. Was sie aber bisher konkret auf den Tisch legen, genügt einfach nicht, um gefährlichen Klimawandel global zu bekämpfen.

Während man in Poznan noch auf den EU Gipfel im März hoffen konnte, damit von dort Zusagen und Zahlen auf den Verhandlungstisch gelangen, was die Finanzierung von Klimaschutz, Anpassung und Technologie für die Entwicklungsländer angeht, ist inzwischen nicht nur klar, dass mit solchen konkreten Zahlen wohl kaum vor der Jahresmitte zu rechnen ist.

Es ist auch deutlich geworden, dass sich die EU mit einer fatalen Strategie in die Verhandlungen begibt, die nicht nur keine eigene Zusagen auf den Tisch legt, sondern massive Eigenanstrengungen von den Entwicklungs- und Schwellenländern abverlangt, die diese zu geben nicht bereit sein werden.

Wie ist also die Bilanz nach zehn Tagen Zwischenverhandlungen in Bonn auf dem Weg nach Kopenhagen?

  • Es gibt so gut wie keinen Fortschritt bei den Emissionsreduktionszielen der Industrieländer. Die Gesamtanstrengung genügt bei Weitem nicht für eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 2 °C, was als Schwelle für gefährlichen und unkontrollierbaren Klimawandel allgemein anerkannt gilt und von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen unterstrichen, wenn nicht gar verschärft wird. Von anderer Front gibt es jedoch inzwischen sehr viel mehr Klarheit in dieser Frage und auch konkrete Zahlen: Ärmere Entwicklungsländer machen ihrem Unmut mit Forderungen Luft, indem sie konkrete Zahlen für die Industrieländer auf den Tisch legen (insgesamt mindestens 45 % gegenüber 1990 bis 2020 und über 95 % bis 2050). Da es sich um ein koordiniertes Vorgehen verschiedener Verhandlungsblöcke handelt, ist diese Strategie sehr bedeutsam und auch zeitlich gut eingesetzt, da in wenigen Wochen bereits der erste Entwurf des Verhandlungstextes vorliegen soll. Die Forderungen der Entwicklungsländer haben sogar die NGOs in Bonn zu ambitionierteren Positionen herausfordert. Ungeklärt ist aber nach wie vor die Frage, welche Rolle hier den größeren Emittenten unter den Schwellenländern zukommt und welche rechtliche Form ihr Beitrag in einem Kopenhagen Abkommen annehmen müssen – eine Kernfrage der Verhandlungen.
  • Die Frage der Klimafinanzierung ist inzwischen zu einer der wichtigsten im Verhandlungsprozess geworden. Zahlreiche Vorschläge für eine zukünftige Finanzarchitektur und mögliche Finanzierungsquellen liegen auf dem Tisch. Zu einem ernsthaften Verhandlungsprozess mit konkreten Angeboten seitens der Industrieländer ist es aber immer noch nicht gekommen. Strategisch hängt das auch mit der Dynamik anderer Prozesse zusammen, in denen ebenfalls über globale Finanzen und Institutionen verhandelt wird (G8, G20, Major Economies Forum). Hinzu kommt, dass die wahren Kosten für Klimaschutz, Anpassung und die notwendigen Technologien in Entwicklungsländern nur schwer zu fassen sind und es den meisten schlicht an Vorstellungskraft fehlt, wie solche Summen zu bewältigen sein sollen (finanziell, institutionell und aus Gerechtigkeitssicht).
  • Über die tatsächliche rechtliche Form eines Kopenhagen Abkommens gibt es bisher keinerlei Einverständnis. Auch das Zusammenspielen der beiden Verhandlungstracks (auf der einen Seite die weiteren Verpflichtungen und vertieften Reduktionsziele der Kyoto-Protokoll-Parteien, auf der anderen Seite die langfristige kooperative Zusammenarbeit aller Unterzeichner der Klimarahmenkonvention, die sich auf den Bali Action Plan bezieht). Die Debatte wird von den einzelnen Parteien verhandlungstaktisch benutzt, um die Durchsetzung der eigenen Interessen zu ermöglichen.
  • Innerhalb des Blocks der Entwicklungs- und Schwellenländer (G77) sind weitere Ausdifferenzierungen zu erkennen. Neben den Forderungen der ärmsten Entwicklungsländer nach höheren Reduktionszielen für die Industrieländer hat sich in Bonn vor allem Südafrika mit einem äußerst progressiven Vorschlag für eine gerechte Lastenteilung (basierend auf den Greenhouse Development Rights) nach vorne gewagt und damit auch positive Diskussionen innerhalb einiger anderer Delegationen ausgelöst. Trotz massiver interner Differenzen und Konflikten, schweißt die G77 aber nach wie vor zusammen, dass sich die historischen Erfahrungen internationaler Zusammenarbeit mit denen gebrochener Versprechen, Durchsetzung von Eigeninteressen aus den Industrieländern und Hinterzimmerdeals decken. Eine Wiederholung wollen sie für Kopenhagen vermeiden.

Mit dem Business as usual internationaler Verhandlungen, wie er einmal mehr hier in Bonn sichtbar geworden ist, wird es keinen globalen Deal in Kopenhagen geben. Soviel steht fest. Wir riskieren dabei sowohl den Klimaschutz als auch die Entwicklungschancen von Milliarden von Menschen. Doch ist kein Deal besser als ein schlechter Deal? Und wie messen wir, was ein guter Deal ist? Diese Frage beschäftigt nicht nur die internationale Zivilgesellschaft sehr.

So ist es denn mehr als wahrscheinlich, dass sich die meisten Nichtregierungsorganisationen, die sich in den letzten Jahren vor allem in den Korridoren und Lobbys der Konferenzzentrum sowie als BeobachterInnen in den Klimaverhandlungen selber befunden haben, um von dort möglichst effektiv Einfluss auf den Prozess zu nehmen, in Kopenhagen auch auf die Straße gehen werden, um dort ihrem Unmut Luft zu machen und den Druck zu erhöhen.

Einige – und nicht wenige – haben die Hoffnung in den UN-Prozess bereits gänzlich aufgegeben. Hier treffen sie sich in ihren Ängsten mit denen der kleinsten und ärmsten Entwicklungsländer, die durch eine Verlagerung der Verhandlungen in intransparente und exklusive Foren wie die G20, G8 und das Major Economies Forum von Obama befürchten, dass die wichtigen Deals ohne sie und ohne Berücksichtigung ihrer Interessen geschlossen werden. Was ihnen dann bliebe, wäre ein Abnicken der Ergebnisse beim Zusammentreffen der UN Generalversammlung im September, für die UN Generalsekretär Ban Ki-moon einen Sonderklimagipfel einberufen hat.

Was tun also, wenn der inklusive Prozess in all seiner Komplexität und unpolitischen Natur, der kaum Raum bietet für Heldentaten und grundsätzliche Sinneswandlungen, nicht den notwendigen Fortschritt bringt und eine Deal der Großen und Mächtigen die Gefahr birgt, wichtige Anliegen und Prinzipien der Ärmsten unter den Tisch zu kehren?

Die Bewahrung größtmöglichster Transparenz – unter anderem durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen – sowie eine massive Mobilisierung der nationalen Öffentlichkeiten (so schwierig sich das in der Vergangenheit mit dem Klimathema auch gestaltet hat) erscheinen mir als zwei wichtige – wenn auch gänzlich unzureichende – Puzzleteile.

Was dann noch fehlt, ist immer noch was Wichtigste: politische Einsicht, dass nur globale Zusammenarbeit und Gerechtigkeit uns allen eine Zukunft auf diesem Planeten sichern kann. An dieser Frage dürfen wir einfach nicht scheitern!