In schwindelerregenden Höhen

Land unter an den Ufern des St. John RiverWenn ich die Zahlen höre, mit denen Expertinnen, NGOs und Verhandler seit einigen Jahren um sich werfen, wird mir immer ganz schummrig: 100-200 Milliarden US-Dollar seien jährlich (!) an öffentlichen Geldern erforderlich, um weltweit den Umstieg auf eine Niedrig-Emissionswirtschaft zu stemmen; weitere 50-86 Mrd. US-Dollar, um die Welt an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Klar: nichts tun würde uns viel teurer zu stehen kommen. Doch das ändert nichts daran, dass hier um schwindelerregende Summen geht. Man vergleiche sie nur mal mit den rund 100 Mrd US-Dollar Entwicklungshilfe, die weltweit aufgebracht werden, oder den rund 30 Mrd. US-Dollar, die die Vereinten Nationen mit all ihren Unterorganisationen und Programmen jährlich umsetzen. Jetzt liegt ein neues Gutachten vor, das noch einen oben drauf setzt.

Quelle Foto: www.greatdreams.com/weather/floods-2007.htm (Creative Commons Property)

Martin Parry, seines Zeichen langjähriger Experte des IPCC und anerkannter Forscher u.a. über die Auswirkungen des Klimawandels auf Landwirtschaft und Wasserkreisläufe, kommt nun zum Schluss: „Die bisherigen Hochrechnungen der Anpassungskosten haben die Skala der benötigten Mittel falsch berechnet.“ Es würden stattdessen einige hundert Milliarden Dollar jährlich für Anpassung anfallen.

Ende 2008 hatte das Sekretariat der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) bereits für Aufsehen gesorgt, als es die Zahlen seiner einflussreichen Studie von 2007 in einer aktualisierten Studie 2008 nach oben korrigierte; es seien wohl 49 bis 171 Mrd. US-Dollar allein für die Anpassung weltweit vonnöten, kam sie zum Schluss. Doch Parry und Kolleginnen in der Studie des Imperial College London (Grantham Institute) und des International Institute for Environment and Development (IIED) geben an, dass einige Posten immer noch um den Faktor 100 (!) zu niedrig berechnet wurden. Zudem seien Anpassungskosten in einigen Sektoren wie Energie, Tourismus, Ökosysteme, Verarbeitende Industrie, Logistik und Bergbau, nur teilweise oder gar nicht in die Berechnungen des UNFCCC eingeflossen. Jetzt liege die geschätzte Summe bei XXX, berechnen sie.

„Unsere Studie macht deutlich, dass allein die Anpassung eines einzigen Wassereinzugsgebiets in China jährlich eine Mrd. Dollar kostet“, erklärt Parry. Und seine Kollegin Camilla Toulmin vom IIED fügt hinzu: „Wenn Regierungen mit falschen Zahlen arbeiten, könnten dabei Verträge herauskommen, welche die tatsächlichen Kosten der Anpassung an die Erderwärmung nicht umfassen“.

Mir persönlich schwant, dass das wohl so oder so stimmt. Haben denn Parry et al. alle Wassereinzugsgebiete der Erde berücksichtigt? Waren sie am Oberlauf des Niger-Flusses in den Mandingo-Bergen Malis? Oder im letzten Seitental Nepals, wo die ausbleibende Gletscherschmelze irgendwann zu Wasserengpässen führen dürfte? Das ist doch kaum möglich. So oder so laufen globale Zahlenschätzungen Gefahr, zu kurz zu greifen. Daher braucht es neben den Expertinnen-Abkommen ein Gremium, dass Zahlen „bottom-up“ addiert – als Kostenpläne von denen sammelt, die Anpassung aktiv umsetzen. Und in den Klimaverhandlungen muss ein Mechanismus verankert werden, der sicherstellt, dass nicht nur die Emissionsziele sondern auch die Finanztransfer einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen und laufend bzw. zeitnah an den neuesten Stand des Wissens angepasst werden.


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