Mainstream frisst Nachhaltigkeit – Ist das eine wählenswerte Zukunft? Zum Bericht des High-Level Panel on Global Sustainability

Vor Kurzem präsentierte der UN-Generalsekretär der Weltgemeinschaft den Bericht des High-Level Panel on Global Sustainability, der als zweiter „Brundtland-Bericht“ im Vorfeld des Rio+20-Gipfels mit Spannung erwartet wurde. Das Gremium wurde 2010 von Ban Ki-moon berufen, um Empfehlungen für Rio2012 zu erarbeiten, und ist hochrangig besetzt: Neben den beiden Co-Chairs, den Präsidenten von Finnland und Südafrika, ist z.B. auch Gro Harlem Brundtland dabei. Der Titel des Berichts („Eine Zukunft, die es zu wählen lohnt“) weckt hohe Erwartungen. Doch was steht wirklich drin? Ist das der heiß erwartete praktische Leitfaden, mit dem endlich die Trendwende gelingt?

Interessant ist, dass der Bericht zunächst einmal feststellt, warum es bisher nicht gelungen ist, unsere Weltwirtschaft in nachhaltige Bahnen zu lenken: erstens fehlte der politische Wille und zweitens (dieses Argument wird mit „wirklicher Leidenschaft vorgetragen“) wurde das Konzept nachhaltiger Entwicklung bisher nicht in den Mainstream nationaler und internationaler Wirtschaftspolitiken eingebaut. Wohl wahr, kann ich da nur sagen, genau auf den Punkt gebracht. Und was schließen wir daraus? Hier wird der Bericht leider seinem eigenen Anspruch nicht gerecht und lässt sich in vielen Punkten nicht anders als eine große und bunte „Wünsch-Dir-Was-Liste“ beschreiben – bei der viele Wünsche nicht einmal miteinander kompatibel sind.

Menschenrechte werden groß geschrieben, Gerechtigkeit auf allen Ebenen (zwischen Nord und Süd, zwischen den Geschlechtern…) und vernetztes Denken gefordert. Das ist gut. Das kommt in vielen anderen Papiere zu dem Thema oft zu kurz bzw. ganz am Ende. Die Ursachen der heutigen Probleme werden auch klar benannt: unsere unnachhaltige Lebensstile, Konsum- und Produktionsmuster. Bevölkerungswachstum wird als weiterer Grund genannt. Das wird in der aktuellen Debatte immer wieder gerne als Grund dafür zitiert, warum wir noch mehr wachsen müssen und noch mehr Rohstoffe brauchen. Dabei ist doch ganz klar, dass in den Bevölkerungsgruppen, die am stärksten wachsen (die Ärmsten der Armen in den Entwicklungsländern), der Ressourcenverbrauch besonders gering ist. Erst mit zunehmendem Wohlstand nimmt er zu (und die Zahl der Kinder meist ab).

Wichtige Widersprüche in der Wunschliste des Panels sind z.B.:

  • Das Recht auf Nahrung und Entwicklungschancen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft auf der einen Seite und der Ruf nach einer zweiten „ever-green“ Revolution in der Landwirtschaft. Die erste Grüne Revolution hat durch Erhöhung des Dünge- und Pestizideinsatzes sowie die Verdrängung kleinbäuerlicher Strukturen durch großtechnologische Innovationen und Betriebe Millionen von Menschen in den Hunger getrieben, Existenzen und natürliche Lebensgrundlagen zerstört. Dabei ist es spätestens seit dem Erscheinen des IAASTD-Berichts klar, dass wir nicht einfach mehr produzieren (gar durch Einsatz von Gentechnik oder einfach durch eine verstärkten Einsatz von fossilem Dünger), sondern anders produzieren müssen, Lebensmittel besser verteilen und z.B. Nachernteverluste reduzieren müssen.
  • Der Schutz von Umwelt und die Sicherung der Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerun auf der einen Seite und der Ruf nach besserem Schutz für (ausländische) Investoren auf der anderen Seite. So wird es beispielsweise unmöglich gemacht, transationale Konzerne aufgrund ihrer möglichen Verletzungen von Menschenrechten, Umwelt- oder Sozialstandards vor Ort zu Rechenschaft zu ziehen.
  • Das Anerkennen der „Planetary Boundaries“ und „Tipping Points“ – also der natürlichen Grenzen unseres Planeten und seiner Belastbarkeit – steht einem Festhalten am Wachstumsmodell entgegen. Ein mehr an Effizienz löst nicht das Problem endlicher Ressourcen.

Neben solchen Widersprüchen gibt es auch noch bestimme politische Annahmen (die sich dann in Lösungen und Instrumente übersetzen lassen), die ich insgesamt problematisch finde. Die meisten finden sich nicht nur hier, sondern durchziehen gerade alle Berichte, Vorschläge und Diskussionen von Rio2012 über die Klimaverhandlungen bis zu den G20. Hierzu zählen vor allem die folgenden Annahmen:

  • Die öffentlichen Kassen sind leer, also muss es der Privatsektor richten. Public Private Partnerships sind das Allheilmittel zur Finanzierung der Großen Transformation. Dabei gibt es aufgrund konkreter Erfahrungen (beispielsweise in der Entwicklungsfinanzierung und im Rohstoffsektor) ganz erhebliche Zweifel daran, inwiefern der Einsatz kanpper öffentlicher Mittel zur Hebelung von privatem Kapital tatsächlich zusätzliche Investitionen generiert und in welchem Maße die dann auch transparent, gerecht und armutsbezogen eingesetzt werden. Und ganz nebenbei lenkt das natürlich auch noch von der eigentlichen Debatte ab: nämlich der Frage, warum die Kassen leer sind und es massenweise freies Kapital auf den Finanzmärkten gibt. Zur Lösung dieser „Reichtumskrise“ macht das Panel leider keine Vorschläge.
  • Zur Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien, Menschenrechten und Sozialstandards wird komplett auf Freiwilligkeit gesetzt. Global Compact, freiwillige Nachhaltigkeitsstandards von Unternehmen – haben wir damit bisher den Durchbruch erreicht? Das wage ich mal ganz erheblich anzuweifeln.
  • Und dann noch die Frage nach Bespreisung von „Naturkapital“, Marktmechanismen und Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen. Das ist weites Feld. Für weite Teile der brasilianischen Zivilgesellschaft ist das unter dem Schlagwort „Financialisation of Nature“ ihr wichtigster Reibungspunkt mit der „Green Economy“. Sie sehen eine große Gefahr darin, dass der Handel und die Spekulation mit neuen Co2-Zertifikaten auf Wald und Boden – aber auch Biodiversität und Wasser sind betroffen – die Rechte der dort lebenden Bevölkerungsgruppen massiv einschränken und faktisch keinen Beitrag zum Schutz der Umwelt leisten wird – sondern schlimmstenfalls z.B. Vetreibung, Verluste und Monokulturen zur Folge hat.

Angesichts all dieser Schwachstellen und Widersprüche ist es leicht, die positiven Ansätze im Bericht zu übersehen. Klar ist es super, wenn wir umweltschädliche Subventionen abbauen, unsere Ressourcen effizienter nutzen und über einen alternativen Wachstumsindikator nachdenken. Aber wenn wir tatsächlich Nachhaltigkeit (und Gerechtigkeit!) in den Mainstream der Wirtschaftspolitik bekommen wollen, dann ist es doch schon mehr als erstaunlich, dass sich dieser Bericht in keinster Weise mit der Ausgestaltung unseres Finanz-, Investitions- und Handelsregimes befasst. Letztlich bleibt nach dem Lesen dann doch kaum mehr als Frust sowie ein fahler Geschmack, dass hier der Nachhaltigkeitsdiskurs vom Mainstream aufgefressen wird.


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