Unterkomplex, rückwärtsgewandt und langweilig – Landwirtschaft und Green Economy in Rio

Gastbeitrag von Christine Chemnitz

Ganz klar, mit der industriellen Landwirtschaft kann es so nicht weiter gehen: im Rausch des Produktivitätswachstums werden Gewässer verschmutzt, Böden und Biodiversität zerstört und die Meere überdüngt. Um fast 150% ist die landwirtschaftliche Produktion in den letzten 50 Jahren gestiegen, in Entwicklungsländern sogar um 255% (zum Nachlesen: hier).

Die ökologischen Folgen dieser Entwicklung sind in allen Ecken der Welt zu sehen – nur leider die Erfolge kaum. Die absolute Zahl der Hungernden hat sich in den letzten Jahren nicht gesenkt, sondern ist im Gegenteil im Jahr 2009 das erste Mal auf mehr als eine Milliarde Menschen angestiegen. Gleichzeitig wächst die weltweite Bevölkerung, die Nachfrage nach Fleisch und Biomasse zur Energieproduktion steigt während die verfügbare Fläche von Ackerland und Wasser sinkt.

Wer aber denkt, dass die Debatten um eine wirkliche Wende der Agrarproduktion, die soziale und ökologische Ziele  ernst nimmt, hier in Rio geführt wird, der hat sich geirrt. Der von der UNCCD organisierte Tag des Bodens unterstrich zwar immer wieder die Wichtigkeit, Bodenerrosion zu bekämpfen und in den Erhalt von Böden zu investieren – ohne aber eine ökologische Wende unseres Agrarsystems überhaupt anzusprechen. Brasilien wurde als das große „role model“ hochgehalten. „No Tillage“ war das brasilianische Stichwort für nachhaltiges Bodenmanagemment. Dass das mit dem Anbau von GMOs (gentechnisch veränderten Organismen) und einem drastischen Einsatz von Pestiziden einhergeht, wurde nicht erwähnt.

Noch drastischer war die Ernüchterung auf dem Agricultural and Rural Development Day, auf dem mehr als 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über  die Visionen der Landwirtschaft in der Green Economy  diskutieren wollten. Eine Diskussion kam leider den ganzen Tag nicht zustande. Nachdem am Morgen zur Begrüßung in einem Film in „yes we can“ Manier dargestellt wurde, dass die Welt die Lösungen zur Bekämpfung von Hunger und Umweltproblemen kennt und sie nur noch implementiert werden müssten, kamen neben dem brasilianischen Landwirtschaftsminister und der Weltbank auch Yara International – einer der weltweit größten Mineraldüngerkonzerne – zu Wort. Sie alle berichteten jeweils, wieviel ökologische Transformation im Agrarsektors schon erreicht wurde oder welche zentrale Rolle das jeweils eigene Unternehmen oder die eigene Organisation für die erfolgreiche Transformation spielt.

Damit spiegelt der Rural Development Day die Symptomatik des gesamten Rio-Gipfels wieder: ein grundlgendes Unverständnis dafür, wer eigentlich die zentralen Blockierer in einer großen sozial-ökologischen Transformation sind.

Dass das Communiqué des Rural Development Days ganz der Annahme verschrieben ist, die landwirtschaftliche Produktion benötige ein Wachstum von 60 bis 70 Prozent, um die Welt zu ernähren, und dass wir vor allem auf neue Technologien setzen sollten, um diese Herausforderung zu meistern, erstaunt kaum. Der Zusammenhang zwischen Hunger und Armut und eine Debatte um nachhaltige Konsumstrukturen wurde genauso ausgeblendet wie Gerechtigkeits – und Genderaspekte.

Das ist nicht zukunftsweisend, das ist unterkomplex und frustrierend!


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