9 Thesen zur Kritik der Grünen Ökonomie

Grüne Ökonomie will als Leitbild Lösungen für ökologische und ökonomische Krisen anbieten. Doch kann sie das wirklich? Hier sind die zentralen Thesen unseres Buches „Kritik der Grünen Ökonomie“, das am 5. November 2015 erschienen ist:

1) Grüne Ökonomie verbreitet Optimismus – ist aber letztlich ein Glaubens- und Ausblendungsprogramm

Grüne Ökonomie, wie sie der Mainstream formuliert, will aus dem fossilen „business as usual“ aussteigen. Die Botschaft klingt gut und optimistisch: Die Wirtschaft kann weiter wachsen, Wachstum kann grün werden. Grüne Ökonomie will gar zum Motor für mehr Wachstum werden. Doch Klima- und Ressourcenschutz mit Wirtschaftswachstum in einer begrenzten und ungerechten Welt versöhnen zu wollen, bleibt eine Illusion. Unter dem Banner eines positiv besetzten Begriffs wird suggeriert, dass uns die Welt, wie wir sie kennen, mit einem effizienteren, ressourcenschonenden und grünen Wachstumsparadigma weitgehend erhalten bleiben kann.

Dieses Versprechen kann aber nur machen, wer bewusst Komplexität reduziert, stark an Wunder des Marktes und der technologischen Innovation glaubt und gleichzeitig reale Machtstrukturen im ökonomischen wie politischen Kontext ignoriert und nicht anpacken will. Grüne Ökonomie ist deshalb häufig ein Glaubens- und Ausblendungsprogamm.

Grüne Ökonomie wird nur eine realistische Zukunftsoption, wenn sie die planetarischen Grenzen anerkennt und Emissionen aller Art und Ressourcenverbräuche radikal reduziert und fair verteilt.

2) Mehr Markt gegen Marktversagen: Statt „Wirtschaft neu denken“ will die Grüne Ökonomie „Natur neu definieren“

Als entscheidende Antwort auf die aktuellen Krisen reformuliert Grüne Ökonomie die Idee vom Primat der Ökonomie. Ökonomie sei die Währung der Politik geworden, sagen ihre Verfechter. Folglich soll Marktversagen durch noch mehr Markt korrigiert werden. Die Grüne Ökonomie will deswegen in den Markt hineinholen, was bislang noch nicht ökonomisiert war.

Dafür muss Grüne Ökonomie das Verhältnis von Natur und Ökonomie neu bestimmen. Ergebnis ist eine Neufassung des Naturbegriffs als Naturkapital und als ökonomische Dienstleistung der Ökosysteme – und eben nicht eine Transformation der Wirtschaftsweise. Statt „Wirtschaft neu denken“ will die Grüne Ökonomie „Natur neu definieren“. Natur soll gemessen, erfasst, ökonomisch bewertet und verrechnet werden – auf Basis einer global abstrakten Währung: CO2-Äquivalenten.

Damit werden die vielen strukturellen Ursachen der Natur- und Klimakrise unsichtbarer und bei der Suche nach wirklichen Lösungen und Auswegen nicht mehr umfassend berücksichtigt. Die Konsequenzen eines solchen Ansatzes zeigen sich auch bei neuen Marktmechanismen für den Handel mit Zertifikaten, die dem Schutz von biologischer Vielfalt dienen sollen. Sie organisieren vielfach die Zerstörung von Natur marktförmig, statt sie zu verhindern.

Grüne Ökonomie verkürzt die notwendige grundlegende Transformation aufs Ökonomische und erweckt den Eindruck, dass sie ohne größere Umbrüche und Konflikte umzusetzen sei. Die entscheidende Frage – wie wir mit weniger, anders und vielfältig eine bessere Zukunft schaffen können – wird gar nicht erst gestellt.

3) Ökologische Politik ist mehr als die Reduzierung von CO2-Emissionen

Grüne Ökonomie formuliert mit dem Mantra „Put a price on Carbon“ die zentrale Strategie zur Dekarbonisierung. Doch diese Reduzierung auf Preise und eine einzige Währungseinheit (CO2-Äquiavalente) ist eindimensional.

Dekarbonisierung kann vieles meinen: vom Ausstieg aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas über eine Kompensation fossiler Emissionen durch die Speicherung von „äquivalenten“ CO2-Mengen in Pflanzen oder Böden bis hin zur Nutzung von Technologien zur industriellen Speicherung von CO2 (CCS). Das Ergebnis ist aus sozialer und ökologischer Sicht jeweils ein komplett anderes.

Die globale Krise ist viel mehr als nur eine Klimakrise. Die inzwischen weithin anerkannte Systematisierung „planetarischer Grenzen“ durch das Stockholm Resilience Centre identifiziert alleine im Bereich der Ökologie drei Felder, in denen wir einen sicheren Raum verlassen haben:

  • Klimawandel
  • Verlust der Biodiversität
  • Stickstoffbelastung (vor allem durch den Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft)

Grüne Ökonomie klammert die Komplexität und die Wechselwirkungen der Krisen aus, um mit einem einfachen Narrativ die Rettung der Welt als Geschäftsmodell zu verkünden.

4) Fetisch Innovation: Grüne Ökonomie setzt Innovation nicht in den Kontext von Interessen und Machtverhältnissen

Für das Versprechen der Grünen Ökonomie ist Vertrauen und Hoffnung auf technologische Innovation zentral. Unbestritten brauchen wir Innovationen auf allen Ebenen – sozial, kulturell, technologisch und gesellschaftlich – um die globale Transformation zu schaffen.

Innovationen, vor allem technologische, sind aber immer in ihren sozialen, kulturellen und ökologischen Kontexten zu betrachten. Denn Innovation ist kein Automatismus, kein Selbstläufer. Sie ist durch die Interessen und Machtverhältnisse der Akteure geformt. Deshalb tragen viele Innovationen nicht zur grundlegenden Transformation bei, sondern legitimieren den Status Quo und verlängern häufig die Lebensdauer von Produkten und Systemen, die nicht mehr zukunftstauglich sind.

So produziert die Automobilindustrie zwar sparsamere Motoren, aber auch immer größere, leistungsstärkere und schwerere Fahrzeuge. Gleichzeitig ist sie bereit – und das durchaus innovativ – Manipulationen bei der Messung des Schadstoffausstoßes umzusetzen, wie jüngst der VW-Skandal zeigte. Zudem ersetzt sie fossile Treibstoffe durch sozial und ökologisch höchst problematische Agrartreibstoffe.

Ist von so einer Industrie zu erwarten, dass sie Vorreiterin einer Transformation wird, die das Verkehrssystem radikal umstellt – auch auf Kosten des individuellen Autoverkehrs?

Innovationen verändern unser Leben, aber sie bewirken keine Wunder. Die Atomtechnologie hat nicht das Energieproblem der Welt gelöst, die grüne Revolution nicht das Hungerproblem. Die Beispiele Atomenergie, Gentechnologie oder Geoengineering zeigen, wie umstritten Technologien sein können, wenn ihre Grenzen und die sozialen wie ökologischen Schäden, die sie anrichten können, nicht vorab in allen Dimensionen und mit Sorgfalt geprüft werden.

5) Das falsche Effizienzversprechen der Grünen Ökonomie

Unsere Wirtschaft wird immer effizienter, das stimmt und ist gut so. Aber beim jetzigen Tempo wird das nicht reichen. So verbrauchen beispielweise Haushaltsgeräte weniger Energie, aber in unseren Häusern stehen mehr Geräte als früher. Dieser „Rebound-Effekt“ verringert die Wirkung von Effizienzsteigerung.

Eine relative Entkoppelung von Wachstum und Energieverbrauch ist möglich, wir brauchen aber viel mehr, um die notwendige Transformation zu erreichen: einen radikalen und absoluten Rückgang von Energie- und Materialverbrauch, und das vor allem in den Industrieländern.

Diesen absoluten Rückgang zu erreichen – ohne das auf Wachstum basierende Wohlstandsmodell zu hinterfragen – ist keine realistische Perspektive.

Es gibt kein plausibles Szenario, das Wachstum, absolute Verminderung des Umweltverbrauchs und mehr globale Gerechtigkeit in einer Welt von neun Milliarden Menschen glaubhaft kombiniert.

6) Grüne Ökonomie ist apolitisch: Sie ignoriert Menschenrechte und die Menschen, die sich einmischen.

Grüne Ökonomie hat viele Blindstellen: sie interessiert sich wenig für Politik, kaum für Menschenrechte, kennt keine sozialen Akteur/innen und suggeriert Reform ohne Konflikte.

Soziale Konflikte, wie beispielsweise beim Bau von Windparks, bei der Konstruktion großer Staudämme oder bei der Frage der Eigentumsrechte an der CO2-Speicherfähigkeit von Wäldern, werden ausgeblendet.

Nach der Erkenntnis, dass es ein „Weiter so!“ nicht geben kann, dient die Grüne Ökonomie als vermeintlich unpolitisches Vehikel dazu, die Hegemonie über den Transformationsweg zu gewinnen. Dabei soll mit der Grünen Ökonomie die Frage nach wirtschaftlichen und politischen Interessen, nach Macht- und Besitzverhältnissen, nach Menschenrechten und Ressourcen der Macht möglichst ausgeblendet werden.

7) Realismus statt Wunschdenken: Die Zukunft braucht eine konfliktfähige ökologische Politik!

Um die Zukunftsaufgaben adäquat anzugehen, brauchen wir einen realistischen Blick auf die Welt, der nicht durch Wunschdenken verzerrt wird.

Das heißt: Es wird keine einfachen Lösungen geben und nicht alles ist „Win Win“. Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie wird nicht immer gelingen. Die notwendige Transformation berührt Machtinteressen und wird auch Verliererinnen und Verlierer kennen. Sie wird nicht ohne hartes Aushandeln, ohne Konflikte und Widerstand gelingen.

Gefragt ist hier vor allem die Politik. Denn Ordnungspolitik hat große umweltpolitische Erfolge zu verbuchen. Der Schutz der Lebensräume von Menschen und Natur – politisch gewollt und durchgesetzt – ist deutlich wirkungsvoller als die Monetarisierung der Natur und Lebensräume von Menschen, die über Jahrtausende ihre Ökosysteme geschützt haben.

Nicht jede Kleinigkeit muss reguliert werden, aber manchmal sind Verbote wie bei Bleibenzin, hochgiftigen Pestiziden und FCKW ebenso unverzichtbar wie eine unabhängige Kontrolle und strenge Grenzwerte.

8) Alternativen sind machbar

Es fehlt nicht an Alternativen und guten Beispielen. Ökologische Landwirtschaft, auch im großen Maßstab, ist bereits Realität und hochproduktiver Wirtschaftsfaktor. Eine andere, systemisch vernetzte Mobilität, die nicht primär auf Individualverkehr beruht, emissionsfreie Automobile aber auch nicht ausschließt, ist theoretisch durchgespielt und wird bereits in Ansätzen umgesetzt.

Vor allem aber darf Innovation nicht auf den Technologie-Begriff verengt werden: Auch die Entwicklung neuer Lebensstile und neuer Formen des urbanen Zusammenlebens sind Innovation. Eine dezentrale und erneuerbare Energieversorgung liegt genauso in Reichweite von Realpolitik wie der Abbau umweltschädlicher Subventionen.

Zumeist fehlt es also nicht an Alternativen, sondern vor allem an der Macht, sie – zumeist gegen partikulare Minderheitsinteressen – durchzusetzen. Für eine solche Perspektive ist die Fixierung auf die Frage „Wie können wir grün wachsen?“ kontraproduktiv.

9) Die Machtfrage: Für eine Repolitisierung der ökologischen Politik

Radikaler Realismus ist der Kern unseres Verständnisse einer politischen Ökologie, die sich vor unbequemen Fragen nicht wegduckt und um gesellschaftliche Mehrheiten für eine sozial und ökologisch gerechte Transformation wirbt. Wir plädieren für eine Repolitisierung der ökologischen Politik, für eine Rückkehr zum Terminus Politische Ökologie. Denn diese versucht das komplexe Verhältnis von Politik und Ökologie, das Mensch-Naturverhältnis zu erfassen und der politischen Gestaltung und Steuerung Vorrang vor dem Ökonomischen zu geben.

Soziale, kulturelle und technologische Innovationen müssen enger miteinander verbunden werden. Technologien müssen vor allem in ihren sozialen und ökologischen Folgen breit gesellschaftlich diskutiert und demokratisch kontrolliert werden.

Ein Begrünen der Wirtschaft durch Ressourcenschonung, Umstieg auf erneuerbare Energien, bessere Technologien und effiziente ökonomische Anreize wie Steuern ist unbestreitbar ein Teil der Lösung.

Das Projekt einer globalen sozial-ökologischen Transformation jedoch geht sehr viel weiter: Es muss die Machtfrage stellen, demokratisch legitimierte Entscheidungsprozesse und -strukturen priorisieren und die Einhaltung von fundamentalen Umwelt- und Menschenrechten ins Zentrum rücken.

Die Trendumkehr wird also radikaler ausfallen müssen, als dies die Grüne Ökonomie suggeriert. Das geht nicht ohne Leidenschaft und Optimismus, und auch nicht ohne Kontroverse und Kampf.

Das Buch „Kritik der Grünen Ökonomie“ versteht sich als Teil des globalen Suchprozesses und als eine Einladung zur Debatte.


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