Not here, not anywhere

Danielle Hodges und ihr Mann Brien leben in einem Vorort von Sydney, Australien. Sie sind diese Woche nach Paris gekommen, um am ersten internationalen Anti-Fracking Gipfel teilzunehmen, den Friends of the Earth Europe, Food and Water Watch, EarthWorks und andere organisiert haben. Das Paar ist vor zwei Jahren in ein neues Haus gezogen. Dafür haben sie lange gespart. Niemand hat ihnen gesagt, dass ihre neue Heimat das größte Erdgasfeld Australiens ist – das AGL Camden Gas Project.

Nur wenige Wochen nach Einzug bekamen Danielle, Brien und ihre vier Kinder Juckreiz und kurz darauf begannen regelmäßige Nasenblutungen. Einige der Bohrlöcher sind nur wenige Hundert Meter von Danielles Haus entfernt. Insgesamt gibt es weit über 100 Bohrlöcher in der unmittelbaren Umgebung. Danielle und viele ihrer Nachbar/innen können es sich nicht leisten, das neue Zuhause einfach aufzugeben und auszuziehen.

Als sie ihre Geschichte vor etwa 100 Anti-Fracking-Aktivist/innen aus über 30 Ländern – viele von ihnen mit ähnlichen Geschichten und Schicksalen – erzählte, fiel es ihr schwer, die Fassungslosigkeit, Wut, Angst und Verzweiflung in Worte zu fassen. Anderen ging es ähnlich. So zum Beispiel Kandie Mossett aus North Dakota in den USA, die einige vielleicht aus dem Film This Changes Everything von Naomi Klein kennen.

Nach einem ganzen Vormittag erschreckender – auch vieler mutmachender Geschichten (so zum Beispiel der errungene Sieg für ein Frackingverbot im Bundesstaat New York, von dem Sandra Steingraber berichtet), ging es beim Gipfel der Anti-Fracking-Bewegung am nachmittag um Strategien und Kooperation. Dabei waren sich alle einig: Dies ist keine reine Umweltbewegung, sondern ein, die fundamentale Menschenrechte und Demokratie verteidigt.

Zur Verstärkung erschienen eigens zwei der wohl wichtigste Klimawissenschaftler für die Anti-Fracking-Bewegung: Robert Howarth von der Cornell University, dessen Studien zu den Methanemissionen der Frackingindustrie einen großen Beitrag geleistet haben, die Behauptung, Erdgas sei eine Brückentechnologie, als Lüge zu entlarven. Seine Erkenntnisse und Daten gibt es hier frei verfügbar. Sein Fazit: Schiefergas / Fracking ist etwa 1,8 mal so klimaschädlich wie Kohle, wenn man sich den gesamten Produktions- und Lebenszyklus des Gases anschaut.

Außerdem kam Kevin Anderson vom Tyndall Center / Manchester University, der sich aktuell und diese Woche in den Klimaverhandlungen sehr deutlich zur Scheinheiligkeit von Politik und Klimawissenschaft äußert, wenn sie 2°C oder gar 1,5°C sagen, aber dann von unbekannten, riskanten Zukunftstechnologien für negative Emissionen ausgehen. Seine Botschaft: das globale CO2-Budget lässt schlicht keinen Platz für Fracking.

Von Bulgarien bis Thailand, von Algerien bis Argentinien, von Schottland bis Südafrika, von Deutschland bis China, von New York bis Wyoming und Kalifornien – Fracking ist überall. Und überall dort, wo sich die Öl- und Gaskonzerne unser Land, unser Wasser, unsere Wälder, unsere Heimat und unsere Zukunft stehlen wollen, gibt es mutige Menschen, die sich dagegenstellen – mit Argumenten und auch mit ihren Körpern. Beeindruckende aktuelle Beispiele dafür sind die Lock the Gate Kampagne in Australien Gasfield Free NSW und We are Seneca Lake.

Ein Tag mit diesen Menschen, ihren Geschichten, ihren Sorgen, Ängsten, Weisheiten und vor allem ihrem Mut angesichts eines fast übermächtigen Gegners hat mir sehr viel Hoffnung gegeben und auch Inspiration. Diese Hoffnung nehmen hoffentlich auch Danielle, Kandie und alle anderen mit nach Hause.

Einer konnte leider nicht persönlich kommen, sondern schaltete sich nur per Videobotschaft dazu: Josh Fox, Regisseur des berühmten Dokumentarfilms Gasland. Aber er hatte eine gute Ausrede: Sein neuer Film How to Let Go of The World (And Love All the Things Climate Can’t Change wurde gerade für das Sundance Film Festival nominiert.

Angesichts all dieser Kraft, Energie und Unterstützung tat es fast schon physisch weh, heute wieder in die Tiefen des UNFCCC-Verhandlungsalltags einzutauchen… Während in Le Bourget um Halbsätze und Formulierungen im für morgen früh erwarteten finalen Textentwurf gerungen wird (hier der letzte Stand, „Version 2“ von gestern abend 21 Uhr, 27 Seiten), bereiten sich Tausende auf ihren Einsatz morgen beim D12 vor bzw. bei einer der anderen geplanten Aktionen. Die Welt schaut nach Paris.


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