Der renommierte und für seine radikalen Positionen bekannte Klimawissenschaftler Kevin Anderson legt den Finger direkt in die Wunde: Die Pariser Klimakonferenz hat zwar erreicht, dass sich die internationale Gemeinschaft verpflichtet, sich zu bemühen, die globale Erwärmung auf maximal 1,5°C zu begrenzen. Aber wir haben kein klimawissenschaftliches Szenario, das uns einen Entwicklungspfad für 2°C (geschweige denn 1,5°C!) aufzeigt, das nicht implizit von einem massiven Einsatz von Geoengineering-Technologien ausgeht. Vor allem geht es dabei um die umstrittene BECCS-Technologie (BECCS= Bioenergy with Carbon Capture and Storage).
Kevin Anderson drückt es so aus:
„[G]overnment advisors (Integrated Assessment Modellers – clever folk developing ‘cost-optimised’ solutions to 2°C by combining physics with economic and behavioural modelling) no longer see negative emission technologies as a last ditch Plan B – but rather now promote it as central pivot of the one and only Plan.“
Was genau BECCS ist bzw. sein soll, welche problematischen (und teils konfusen) Annahmen dahinterstehen und wie die Technologie konkret funktionieren soll, beschreibt Biofuelwatch in einem aktuellen Report „Last-ditch climate option or wishful thinking?“:
To prove its possibility one would need to 1) demonstrate that it is possible to convert hundreds of millions of hectares of land to energy crops and use very large quantities of agricultural and forestry residues for bioenergy with zero or minimal direct and indirect greenhouse gas emissions from land use change, from soil carbon losses, from nitrogen fertiliser production and use. 2) that the technologies required for BECCS were both feasible and scalable, i.e. that BECCS plants could be expected to operate reliably and that they could offer energy balances which would make the process economically viable, without the need for linking it to Enhanced Oil or Gas Recovery, i.e. increased fossil fuel burning. And 3) that the CO2 could be securely and safely stored over very long periods. […] It becomes clear that right now, there is limited and inconsistent evidence about the long-term security of CO2 storage – and no empirical evidence to back up any of the other assumptions that would need to be proven for BECCS to be considered as a safe and viable solution.
Plan B (der eigentlich kein Plan B ist, weil wir keine Ahnung haben, wie das funktionieren soll bzw. alles, was wir wissen, darauf hindeutet, dass es nicht funktioniert) wird stillschweigend und im Konsens zu Plan A??? Jedenfalls sind hier Klimawissenschaftler in Deutschland aktiv beteiligt. 3 Beispiele:
Joachim Schellnhuber: Bei einer großen internationalen Geoengineering-Konferenz letztes Jahr nennt er CCS in großem Maßstab die einzig rationale Geoengineering-Option (Videoaufzeichnung, 01:18 h). Und in der Presseerklärung des WBGU zum Pariser Klimagipfel sagt er: „Das Langfristziel ermöglicht eine Minderung der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null binnen weniger Dekaden. Dies entspricht den wissenschaftlichen Analysen über die notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung gefährlicher Klimaänderungen wie Wetterextremen oder Meeresspiegelanstieg. Zur Klimastabilisierung müssen die CO2-Emissionen vor 2030 ihren Scheitelpunkt erreichen und möglichst schnell nach 2050 auf null gesenkt werden. Technologien wie Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -speicherung sowie Wiederaufforstung können dabei eine Rolle spielen, aber die Minderung der CO2-Emissionen ist entscheidend. Die internationale Staatengemeinschaft hat heute Geschichte geschrieben, so dass sich künftige Generationen an dieses Ereignis erinnern werden.“
Ottmar Edenhofer: Denkt und sagt ganz klar, dass er davon ausgeht, dass es ohne BECCS nicht gehen wird. Zum Beispiel hier: „Egal, ob Zwei- oder Drei-Grad-Ziel – man wird künftig dabei nicht um das Erreichen von ’negativen Emissionen‘ herumkommen“.
Bill Hare: Mit seiner Organisation Climate Analytics hat er Ende letztens Jahres einen Bericht über die Machbarkeit des 1,5°- und 2°C-Limits vorgelegt und fasst da den aktuellen klimawissenschaftlichen Stand der Debatte wie folgt zusammen: „Like most 2°C scenarios starting from close to projected emissions for 2020, 1.5°C scenarios depend on the availability of technologies leading to negative CO2 emissions, with virtually no flexibility to ‚opt out‘ of such technologies.“ Aber Sorgen machen müsse man sich nicht, denn: Nachhaltiger Anbau von Biomasse sei ja möglich (siehe Biofuels) und man brauche halt nur ein paar Standards und Regeln…
Müssen wir denn, wenn wir Geoengineering ablehnen, in Konsequenz nicht das 2°C-Ziel (das nie ein Ziel, sondern immer ein Limit war) aufgeben? Das fragen jetzt viele nach Paris. (Oliver Geden von der SWP fragt das sogar schon länger.) Ich möchte ich hier nochmal ganz deutlich betonen: Das ist die falsche Frage! Viel wichtiger ist die Frage, welche Entwicklungspfade uns auf einen Weg bringen, der gefährlichen Klimawandel verhindern kann! Und da wissen wir doch längst die Antworten: fossile Rohstoffe im Boden lassen, Subventionen abbauen, Agrarwirtschaft umgestalten, Energie- und Materialverbrauch massiv denken, Kreislaufwirtschaft einführen, Wirtschaftskreisläufe regionalisieren usw. Die Liste möglicher Maßnahmen ist lang.
Das wirkliche Problem ist, dass unsere Klimapolitik à la IPCC von Ökonomen gemacht wird, die in ihrem Denken und Forschen gänzlich dem aktuellen Wirtschaftssystem und Wachstumsparadigma verhaftet sind. Wenn wir uns nichts anderes Vorstellen können, finden wir auch keine Lösungen aus der Sackgasse, in der wir stecken. (Zum Weiterlesen bzgl. der grundsätzlichen Frage des Framings der Klimakrise empfehlen ich unsere Essay Carbon metrics – global abstractions and ecological epistemicide.)
In diesem Sinne darf man mit Sorgen auf den Bericht blicken, den der IPCC (laut Beschlüssen in Paris) 2017 zur Machbarkeit des 1,5°C-Limits vorlegen soll. Und mit noch größerer Sorge blicke ich in diesem Jahr in Richtung Biodiversitätskonvention UNCBD (COP im Dezember in Cancun), wo das schwer erkämpfte Moratorium auf Geoengineering-Technologien (das auch BECCS betrifft) vermutlich gehörig unter Druck geraten wird.
Ja, vermutlich werden wir ganz intensiv darüber nachdenken und reden müssen, wie wir zusätzliches CO2 (und andere Treibhausgase) aus der Atmosphäre bekommen können. Aber auch da wissen wir doch eigentlich längst, wie das geht: Nicht mit riskanten Technologie-Utopien, die unsere Landschaften in Monokulturen verwandeln, sondern z.B. durch eine agrarökologische Anbauweise, die zugleich die Bodenfruchtbarkeit erhält. Und einfach und allein dadurch, dass wir unsere Ökosystemen die Zeit und den Raum geben, sich zu regenerieren. Denn nur dann können sie als wirksame Senken auch Klimaschutzfunktion übernehmen.
Eine leicht gekürzte Fassung von Kevin Andersons Kommentar erschien auch auf Nature World Views.