Die Natur hat zwar immer Recht – aber leider keine Rechte

Ein Gastbeitrag von Christine Ax

So wie Kopernikus uns die Augen dafür öffnete, dass nicht die Erde im Zentrum des Universums steht, sondern ein Planet ist, der um die Sonne kreist, brauchen wir eine kopernikanische Wende im Recht: Nicht der Mensch ist der Herrscher über die Natur. Es ist die Natur, deren Gesetze die Grundlage unseres Handelns sein muss. Nur im Frieden mit der Natur ist ein gutes Leben dauerhaft möglich.  Das muss endlich auch die Grundlage von Regierungshandeln und Rechtsordnungen werden.

Drei Konferenzen zum Thema „Rechte der Natur“ haben in den letzten Wochen auf ein Thema aufmerksam gemacht, das nach einer lebhaften Debatte Mitte der 80er Jahre kaum noch Beachtung fand.

Den Anfang machte Mitte Oktober die Gründung des internationalen Netzwerks ELGA, das sich als Lobby für die Rechte der Natur versteht. Grundlage dieser Zusammenarbeit von Umweltjurist/innen, Umwelt-Wissenschaftler/innen und Umweltorganisationen ist das Oslo-Manifest, das einen juristischen Paradigmawechsel fordert. Die Erde und alles, was lebt, darf nicht länger als „Sache“ behandelt werden. Alle Mitgeschöpfe – darunter auch Flüsse, Wälder, Täler und andere Biotope, sollen ihr Recht auf Existenz und Entwicklung (mit Hilfe geeigneter Institutionen) vor Gericht einklagen können.

ELGA – dessen Mitglieder heute schon in nationalen oder internationalen Gremien, an Hochschulen oder als Anwältinnen und Anwältee lokaler Initiativen für diese Forderung leidenschaftlich eintreten, wollen so den Druck auf die Menschheit erhöhen, sich der Tatsache zu stellen, dass sie auf dem Wege ist, die eigenen Existenzgrundlagen zu zerstören.

Sie sind davon überzeugt, dass das nicht gelingt, soland die Belange der Natur unterliegen, solange nur der Mensch Rechte hat.

Unser unerklärter Krieg gegen die Natur

Drei Wochen später öffnete das vierte „Rights of Nature Tribunal“ in Bonn seine Tore. Zwei Tage legten Aktivist/innen und Betroffene aus aller Welt bewegende Zeugnisse ab, über den (unerklärten) Krieg gegen die Natur, der auf allen Kontinenten stattfindet. Fracking, Bergbau, Straßenbau und Pipelines zerstören Wälder und Lebensräume, belasten das Grundwasser und beschleunigen den Klimawandel. Und sie zerstören die Heimat und die Lebensgrundlage der dort lebenden Menschen.

Neben der nicht enden wollenden Flut an Brutalitäten, die im Namen von Konzernen und Regierungen begangen werden, um ihre Interessen durchsetzen, waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Tribunals aber auch mit Männern und Frauen konfrontiert, die trotz Übermacht von Konzernen und Regierungen nicht aufgeben, ihre Heimat zu verteidigen.

Gerichtet wurde über in Bonn „im Namen der Natur“, deren Rechte in der „Rights of Mother Earth – Deklaration“ festgehalten sind.

Die Ankläger/innen und Zeugen kamen aus den USA, Bolivien, Ecuador, Französisch-Guyana und Deutschland. Nicht nur konkrete und besonders eklatante Beispielen aus aller Welt wurden in Bonn verhandelt, sondern erstmals auch „Prinzipien“, darunter die Finanzialisierung der Natur oder der Freihandel.

Die Anklage stellt fest: Immer öfter wird die Natur zur Ware, kann gehandelt oder getauscht werden. Neoliberale Konzepte machen Verschmutzungsrechte handelbar oder etablieren Kompensationsmechanismen, mit denen der Raubbau an der Natur erkauft werden kann, gewinnen immer stärker an Bedeutung. Natur wird als ein ortsunabhängiges Gut behandelt, das zerstört werden darf, wenn an anderen Orten eine Kompensation erfolgt. Ein von Ökonomen erdachtes Regelwerk, das „Business as usual“ und einen gefährlichen Ablasshandel legitimiert.

Die sich daran anschließende Verhandlung des Falls „Freihandel“ machte mehr als deutlich, wie sehr die Ermächtigung der Konzerne durch Freihandelsverträge und insbesondere mit dem Institut der Investorengerichte, dieser Zerstörung den Weg bereiten. Denn während die Natur selber keine Stimme hat, und indigene Völker ohnmächtig mit ansehen müssen, wie ihre Lebensräume zerstört werden, können Konzerne, ihre Interessen vor Gerichten zu wahren und durchzusetzen. Ganze Staaten werden erpressbar.

Rechte der Natur. (Wie) Geht das?

Den Gedanken, der Natur Rechte zu geben, finden Bürger/innen, die sich niemals mit diesem Thema beschäftigt haben, absonderlich. Dabei steht ihre zutreffende Beobachtung meist im Vordergrund, dass weder Nashörner noch Flüsse oder Biotope vor Gericht erscheinen können, um selber ihre Rechte einzuklagen. Doch dieses Argument ist schwach. Denn rechtssystematisch finden wir viele Entitäten (Ganzheiten), auf die dieser Einwand gleichermaßen zuträfe, was aber niemanden daran hindert, sie als Rechtssubjekt zu respektieren.

Beispiele hierfür sind nicht nur ungeborene Kinder oder Menschen, die unmündig sind, sondern auch so abstrakte Konstrukte wie Körperschaften privaten und öffentlichen Rechts. Und es sei auch daran erinnert, dass es nicht sehr lange her ist, dass der weiße Mann es für völlig absurd hielt, dass Sklaven oder Frauen auch Rechte haben könnte. Womöglich sogar dieselben wie er. Dieses reflexhafte Befremden hat aber nicht nur „rechtliche“ Ursachen.  Westliches Denken phantasiert sich als Herrscher/in über die Natur und nicht als ein Teil derselben. Schon das Wort Umwelt ist entlarvend. Denn hat und braucht nicht jedes Lebewesen seine eigene Umwelt?  Und ist nicht der Mensch die (bedrohliche) Umwelt dieser Lebewesen und sind wir nicht alle einander Mitwelt?

Immer mehr Richterinnen und Richter befassen sich mit den Rechten der Natur: In den letzten Jahren wurden in Lateinamerika, Indien und Neuseeland Flüsse und ein Regelwaldgebiet als Rechtssubjekte anerkannt. In den USA gibt es inzwischen 36 Gemeinden, die die Rechte der Natur in ihre kommunalen Verfassungen festgeschrieben haben. Dies gilt auch für die Stadt Mexiko.

Mit einem starken Fokus genau auf diese rechtlichen Aspekte diskutieren die Teilnehmenden der dritten Tagung in Nürnberg und Ottensoos diese Fragen.

Die Rechte der Natur / Haus der Zukunft Hamburg – Initiative hatte zu ihrer vierten Tagung eingeladen. Das vor 10 Jahren gegründete Netzwerk hat weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit eine bemerkenswerte interdisziplinäre Reihe von 20 Bänden im Metropolis Verlag publiziert. Vertreterinnen und Vertreter der Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Soziologie und Philosophie machen sich in diesen Veröffentlichungen auf die Suche nach einer anderen Wirtschaft und nach den Grundbedingungen für eine „Biokratie“.

Die Tagung in Ottensoos stellte sich grundsätzlichen ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Aspekten und einer gründlichen juristischen Bestandsaufnahme.

Erste Schritte können sein: Staatsziel neu formulieren – Naturschutzverbände ermächtigen

Konkrete Handlungsansätze wurden für Deutschland vor allem in einer Neufassung des Verfassungsgrundsatzes 20a identifiziert, der Anfang der 90er Jahre fixiert wurde. Er verpflichtet den deutschen Staat dazu, die Natur als „Lebensgrundlage des Menschen“ zu schützen. Die Natur ist folglich nur insoweit schützenswert, als sie dem Menschen nützt. Sie hat weder eine Würde noch wird sie um ihrer selbst willen geschützt.

Auch die Ausweitung des Verbandsklagerecht wurde diskutiert, denn auch das könnte ein Weg sein, schnell und pragmatisch den Schutz der Natur um ihrer selbst willen, zu stärken. Am Beispiel des Wolfes wurde deutlich gemacht, wie so etwas aussehen könnte. Denn Wölfe und andere Tiere und Pflanzen, die unter strengem Artenschutz stehen, wurden insoweit Rechte zuerkannt, als sie nicht nur ein Recht auf Leben haben, sondern auch auf eine „Umwelt“ die sie für ihre Entwicklung und ihr Gedeihen brauchen. Dem Menschen sollten klare Grenzen gesetzt werden, um ein gutes Miteinander zu ermöglichen.

Im Nürnberger Rathaus brachte Gemeinwohlökonom Christian Felber mit seinem Kopfstand die Herausforderung auf den Punkt: Wir müssen unser Denken und unsere Wahrnehmung der Natur vom Kopf auf die Füße stellen.  Denn ob es uns gefällt oder nicht: Die Natur sitzt jeden Tag über uns zu Gericht. Solange wir die Gesetze der Natur nicht anerkennen und uns ihr mit Demut, Intelligenz und Kreativität beugen, ist die Zukunft der Menschheit auf diesem schönen und einzigartigen Planeten gefährdet.

World People’s Conference on Climate Change and the Rights of Mother Earth

Cochabamba, Bolivia, 22 April – Earth Day 2010

Artikel 1. Mutter Erde

Die Mutter Erde ist ein lebendes Wesen.

Die Mutter Erde ist eine einzigartige, unteilbare, sich selbst regulierende Gemeinschaft von untereinander abhängigen Wesen, die alle Wesen unterhält, in sich birgt und reproduziert.

Jedes Wesen ist durch seine Beziehungen als ein integraler Bestandteil der Mutter Erde definiert.

Die inhärenten Rechte der Mutter Erde sind unveräußerlich, da sie aus derselben Quelle wie die Existenz selbst stammen.

Die Mutter Erde und alle Wesen haben ein Recht auf alle inhärenten Rechte, die in dieser Erklärung anerkannt werden, ohne Unterschied zwischen organischen und anorganischen Wesen, oder basiert auf Arten, Herkunft, Nutzen für die Menschen, oder jeglichen anderen Status.

Genauso wie Menschen Menschenrechte haben, haben alle anderen Wesen auch Rechte, die speziell für ihre Art oder Spezies und ihre Rolle und Funktion innerhalb ihrer Gemeinschaft abgestimmt sind.

Die Rechte eines jeden Wesens sind begrenzt durch die Rechte anderer Wesen und jeder Konflikt zwischen ihren Rechten muss so gelöst werden, dass die Integrität, das Gleichgewicht und die Gesundheit der Mutter Erde erhalten bleibt.

Artikel 2. Inhärente rechte der Mutter Erde

Die Mutter Erde und alle Wesen aus denen sie besteht, haben folgende inhärente Rechte :

(a) Das Recht zu leben und zu existieren;

(b) Das Recht respektiert zu werden;

(c) Das Recht, ihre Bio-Kapazität zu regenerieren und ihre lebenswichtigen Kreisläufe und Prozesse frei von menschlichen Störungen fortzusetzen;

(d) Das Recht zur Aufrechterhaltung ihrer Identität und Integrität als eigenständige, sich selbst regulierenden und mit einander in Beziehung stehenden Wesen;

(e) Das Recht auf Wasser als eine Quelle des Lebens;

(f) Das Recht auf saubere Luft;

(g) Das Recht auf ganzheitliche Gesundheit;

(h) Das Recht frei von Kontamination, Verschmutzung und toxischen oder radioaktiven Abfällen zu sein;

(i) Das Recht, dass ihre genetischen Strukturen nicht verändert oder in einer Weise gestört werden, die ihre Integrität, ihr Leben, oder ihre Gesundheit bedroht;

(j) Das Recht auf vollständige und unverzügliche Wiederherstellung der in dieser Erklärung anerkannt Rechte im Falle deren Verletzung durch menschliche Aktivitäten;

Jedes Wesen hat das Recht auf einen Platz und das Recht zum harmonischen Funktionieren der Mutter Erde beizutragen;

Jedes Wesen hat das Recht auf Wohlbefinden und auf ein Leben frei von Folter oder grausamer Behandlung durch Menschen.

Artikel 3. Verpflichtungen der Menschen gegenüber der Mutter Erde

Jeder Mensch ist verantwortlich für die Wahrung der Mutter Erde und muss in Harmonie mit ihr leben.

Alle Menschen, Staaten und öffentliche und private Institutionen müssen:

(a) in Übereinstimmung mit den in dieser Erklärung anerkannten Rechte und Pflichten handeln;

(b) die vollständige Umsetzung und Durchsetzung der in dieser Erklärung anerkannten Rechte und Pflichten akzeptieren und fördern;

(c) lehren, fördern, analysieren und interpretieren wie man gemäss dieser Erklärung, in Harmonie mit der Mutter Erde leben kann;

(d) sicherstellen, dass das Streben nach menschlichem Wohlstand dem Wohlergehen der Mutter Erde jetzt und in Zukunft zuträglich ist;

(e) wirksame Normen und Gesetze zur Verteidigung, zum Schutz und zur Erhaltung der Rechte der Mutter Erde erlassen und anwenden;

(f) die vitalen, ökologischen Kreisläufe, Prozesse und Gleichgewichte der Mutter Erde achten, schützen und erhalten und gegebenenfalls deren Integrität wieder herstellen;

(g) garantieren, dass durch Menschen verursachte Schäden der in dieser Erklärung anerkannt inhärenten Rechte korrigiert werden und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden für die Wiederherstellung der Integrität und der Gesundheit der Mutter Erde;

(h) Menschen und Institutionen befähigen die Rechte der Mutter Erde und aller Wesen zu verteidigen;

(i) vorsorgliche und restriktive Maßnahmen nehmen, um zu verhindern dass menschliche Aktivitäten das Artensterben, die Zerstörung von Ökosystemen oder die Störung ökologischer Kreisläufe verursachen;

(j) Frieden und die Beseitigung nuklearer, chemischer und biologischer Waffen garantieren;

(k) respektvolle Verhaltensweisen gegenüber der Mutter Erde und aller Wesen im Einklang mit ihren eigenen Kulturen, Traditionen und Bräuchen unterstützen und fördern;

(l) Wirtschaftssysteme fördern die in Harmonie mit der Mutter Erde und mit den in dieser Erklärung anerkannten Rechten im Einklang sind.

Artikel 4. Definitionen

Der Begriff “Wesen” umfasst Ökosysteme, natürliche Gemeinschaften, Arten und alle anderen natürlichen Entitäten, die als Teil der Mutter Erde existieren.

Keine Bestimmung dieser Erklärung schränkt die Anerkennung anderer inhärenter Rechte aller oder einzelner Lebewesen ein.


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