Das letzte Wort ist noch nicht geschrieben oder gesprochen – ein Kommentar zu den Zeitungsberichten zum geleakten IPCC-Sonderbericht zu 1,5 Grad

Vielleicht war es absehbar, aber es macht es nicht weniger bedauerlich: Der zweite Entwurf, der sog. „Second Order Draft“, eines sehr wichtigen Sonderberichts des Weltklimarats IPCC wurde an einzelne Medien geleakt und hat nun zu einer Reihe von Zeitungsberichten geführt.

Es geht um den Sonderbericht zu 1,5°C mit dem vollen Titel „Global Warming of 1.5°C: an IPCC special report on the impacts of global warming of 1.5°C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty.

Seit dem 8. Januar 2018 läuft die zweite Runde der Kommentierung des Entwurfs. Neu in dieser zweiten Runde sind a) ein erster Entwurf der sog. „Summary for Policymakers“ (SPM), also des Dokuments, das am Ende vor allem die politischen Entscheidungsträger/innen ansprechen soll und quasi als Zusammenfassung aller Kapitel gilt und damit eine sehr hohe politische Bedeutung hat und b) die Tatsache, dass auch die Regierungen in die Kommentierung einbezogen werden und den Entwurf damit erstmalig zu sehen bekommen.

Der taz Artikel führte inzwischen noch zu einer Reihe weiterer Berichte, u.a. bei Zeit online und bei der Wiener Zeitung. Der Tenor auch hier: Das 1,5°C-Ziel ist nicht mehr zu schaffen.

Problematisch sind diese Leaks schon mal ganz prinzipiell, weil weder die Autor/innen des Berichts noch die ‚expert reviewers‘ die Entwürfe öffentlich teilen oder kommentieren dürfen. Wenn also ein Autor einer Zeitung auf Basis eines geleakten Papiers behauptet, das stünde so im Entwurf, ist es erstmal schwer, eine Gegenmeinung oder Richtigstellung öffentlich zu formulieren, ohne die Regeln des IPCC selber zu brechen.

Aber problematisch sind die Leaks auch noch einmal zusätzlich angesichts der Aspekte, die hier der Öffentlichkeit präsentiert werden – die ja nur einen wissenschaftlichen Zwischenstand präsentieren und vor allem die Lesart des jeweiligen Zeitungsautors wiedergeben.

Wir möchten hier noch einmal unsere Erwartungen an den Sonderbericht insgesamt wiederholen, die wir schon wiederholt und an verschiedenen Stellen so formuliert haben:

  • Die Autor/innen des Sonderberichts müssen ihren Auftrag ernst nehmen, alles verfügbare Wissen über Pfade hin zu 1,5°C zusammenzutragen und sich dabei vor allem auf solche Pfade konzentrieren, die dieses Ziel ohne eine massives Überschreiten des CO2-Budgets und ohne die Nutzung riskanter und unerprobter Geoengineering-Technologien beschreiben. Ein (auch nur temporäres) Überschreiten des 1,5°C-Ziels im Verlauf des Jahrhunderts würde zu irreversiblen Schäden und Kipppunkten im Klimasystem mit unvorhersehbaren Eigendynamiken führen, selbst wenn es dann gelingen würde, die Temperatur zu 2100 hin wieder auf 1,5 Grad zu senken.
  • Die sog. Integrated Assessment Models (IAMs), die klimaökonomischen Modelle also, auf die sich der IPCC in erster Linie bezieht, haben nur eine sehr begrenzte Aussagekraft, wenn es um die Darstellung tatsächlicher gesellschaftlicher und politischer Wahlmöglichkeiten geht. Problematisch ist an ihnen, dass sie sich auf ganz bestimmte Kosten-Nutzen-Berechnungen konzentrieren und viele Annahmen des ökonomischen Mainstreams übernehmen, obwohl es angesichts der Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit des Problems notwendig wäre, viel grundsätzlicher über gesellschaftliche Transformationen nachzudenken. Beispielsweise bevorzugen diese Modelle bestimmte Technologien für sogenannte „Negative Emissionen“ (wie BECCS, Bioenergy and Carbon Capture and Storage), die gegenwärtig überhaupt nicht existieren, gegenüber Änderungen in Produktions- und Konsumstrukturen bevorzugen. Daraus ergibt sich aber keinerlei Hinweis auf das, was politisch wünschenswert, oder unter Anlegung ökologischer und sozialer Kriterien überhaupt machbar wäre! Zudem sind diese Modelle letztlich „black boxes“ und die zugrundliegenden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Annahmen sind von außen nicht nachzuvollziehen.
  • Der IPCC muss sich sorgfältig mit genau den Optionen für transformative und radikale Klimapolitik befassen, die oft vom Tisch fallen bzw. noch gar nicht wirklich diskutiert wurden, obwohl sie eigentlich viel näherliegen als die gefährlichen „Technofixes“, die leider immer mehr in den Mainstream rücken. Dabei denken wir u.a. an einen sehr zügigen Ausstieg aus der Nutzung von Öl und Gas (neben Kohle, die Botschaft ist ja schon angekommen!), inklusive eines Rückbaus bereits vorhandener Infrastruktur, oder auch an die Umsetzung einer echten „Circular Economy“, die nicht beim Thema Recycling stehenbleibt, sondern den generellen stofflichen Umsatz unserer Wirtschaften reduziert, in dem sie den Input an Energie und Ressourcen massiv nach unten fährt: less stuff! Auch in der Landwirtschaft und im Umgang mit unseren natürlichen Ökosystemen brauchen wir einen radikalen Wandel: Die industrielle Landwirtschaft produziert ein Vielfaches an Emissionen im Vergleich zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Letztere dagegen ernährt 70 Prozent des Planeten mit weniger als 25 Prozent der globalen Ressourcen und einem Bruchteil der Emissionen.
  • Die Notwendigkeit, neben radikaler Emissionsminderung auch über Möglichkeiten nachzudenken, überschüssiges CO2 aus der Atmosphäre zu holen, ist definitiv gegeben. Das sollte aber vor allem durch den Schutz und die vorsichtige und nachhaltige Wiederherstellung von natürlichen Ökosystemen (Wälder, Moore, Ozeane) erreicht werden. Großtechnologien im industriellen Maßstab (z.B. BECCS, Direct Air Capture oder die großflächige Aufforstung mit Monokulturplantagen – ‚afforestation‘), die CO2 technologisch aus der Atmosphäre holen und unter der Erde oder in den Ozeanen „vergraben“ sollen, sind in ihrer Effektivität nicht erprobt und vor allem nicht nachhaltig. Wenn sie funktionieren würden, hätten sie großmaßstäbliche negative Auswirkungen auf die Integrität von Ökosystemen und auf Menschen-, Land- und indigene Rechte. Sie würden andere globale Krisen weiter verschärfen, vor allem den Verlust von Biodiversität und Bodendegradation.
  • Aber selbst wenn das Potential, CO2 auf sozial und ökologisch nachhaltige Weise wieder in natürlichen Ökosystemen zu binden, ausgeschöpft wird, so kann es keinesfalls fossile und industrielle Emissionen kompensieren. Viel radikalere und umfassendere Emissionsreduktionen müssen die oberste und unmittelbare Priorität sein. Diese jetzt nicht politisch anzugehen, weil man auf hypothetische Technofixes in der Zukunft hofft, ist unverantwortlich und letztlich unentschuldbar.
  • Geoengineering – und dabei vor allem Ansätze des sog. Solar Radiation Managements (SRM) – tauchen nicht im Outline des Sonderberichts auf und haben daher im Bericht auch nichts zu suchen. Eine ernsthafte Betrachtung dieser hochriskanten Ansätze zur künstlichen Abkühlung des Planeten, die nicht nur klimatische Bedingungen global und regional noch weiter aus den Fugen bringen können, sondern auch eine ernsthafte Bedrohung für Demokratie und Sicherheit bedeuten und die Welt über Jahrhunderte hinweg abhängig machen würden von einem massiven Einsatz dieser Großtechnologien, könnte die Glaubhaftigkeit des Weltklimarats in Frage stellen.

Und ein Kommentar sei noch direkt zum taz Artikel hinzugefügt: Es ist gefährlich, das, was uns Modelle und Szenarien vor Augen führen können, mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Wenn unsere Computermodelle keine geeigneten Szenarien ausspucken, kann man zwei Schlussfolgerungen ziehen: Entweder ist es schlicht nicht möglich und wir betrachten unsere Wirklichkeit und die Wahlmöglichkeiten, die wir haben, als ähnlich reduziert wie diese Modelle. Oder wir führen uns vor Augen, dass die klimaökonomischen Modelle auf bestimmten Annahmen über Wirtschaft und Gesellschaft beruhen, die es zu hinterfragen gilt, wenn wir dem Klimawandel wirklich begegnen wollen. Und wir erinnern uns, dass es vor allem um politischen Willen und gesellschaftliche Transformations- und Gestaltungskraft geht.

Hier ist übrigens die Reaktion des IPCC selber auf die Leaks:

„Draft reports are provided to reviewers as working documents. They are not intended for public distribution, and must not be quoted or cited for the following reasons:

– Firstly, the text can change substantially between the Second Order Draft and the final version once the report’s authors have carefully considered every individual government and expert review comment. For instance, the First Order Draft of this report received 12,895 comments from nearly 500 expert reviewers. Like any work in progress, it is important to respect the authors and give them the time and space to finish writing before making the work public.

– Secondly, the Second Order Draft is based on scientific literature published or submitted for publication before 1 November 2017. Newly published scientific evidence highlighted by reviewers can still be taken into account between the Second Order Draft and the final version of the report, as long as it is accepted for publication in a journal before 15 May 2018.

Drafts of the report are, therefore, collective works in progress that do not necessarily represent the IPCC’s final assessment of the state of knowledge.“

Der Zeitplan für die kommenden Monaten ist wie folgt: Bis zum 25. Februar läuft die Kommentierung des zweiten Entwurfs. Der IPPC wird dann die Summary for Policymakers in der ersten Oktoberwoche verabschieden und am 8. Oktober 2018 der Öffentlichkeit präsentieren.

Bis dahin ist es noch ein langer Weg und der Entwurf wird sich noch stark verändern. Und das ist auch gut so. Denn eine so große Aufgabe braucht Zeit und Vertrauen – unter den Regierungen, aber auch zwischen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit. Denn diese müssen am Ende die Botschaften gemeinsam glauben, verarbeiten und die notwendigen Schlussfolgerungen umsetzen.

Der Sonderbericht zu 1,5 °C wurde von Regierungen beim Klimagipfel in Paris beschlossen. Nun sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Reihe, das beste verfügbare Wissen zusammenzutragen, um den Ball dann wieder an die Regierungen zurück zu spielen. Denn diese müssen sich in diesem Jahr im Rahmen des sog. Talanoa Dialogs mit einer massiven Anhebung ihrer jeweiligen nationalen Ambitionen (NDCs) befassen. Der IPCC-Sonderbericht soll sie dabei unterstützen und beflügeln, ihnen klare Informationen liefern und die Dringlichkeit vor Augen führen. Doch eins wird ihnen der IPCC nicht abnehmen können: das harte Ringen um politische Mehrheiten, um sich gegen die wirtschaftlichen Interessen Einzelner durchzusetzen, um das Überleben aller zu sichern. Und hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen!

Lili Fuhr und Linda Schneider, Heinrich-Böll-Stiftung


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