Internationale Organisation for Normung (ISO) arbeitet an Leitnorm zum Management von Strahlungsantrieben – und könnte damit direkt oder indirekt Geoengineering befördern

Die Internationale Organisation für Normung (ISO) arbeitet derzeit an dem Entwurf einer neuen Leitnorm zum „Management von Strahlungsantrieben“, bzw. auf Englisch: „radiative forcing management“. Und speziell bezieht sie dabei auch Geoengineering Technologien ein, also vor allem Solar Radiation Management (SRM). Das hat gestern die AFP berichtet:

„Draft guidelines for how industry fights climate change promote the widespread use of untested technologies that experts fear could undermine efforts to slash planet-warming greenhouse gas emissions, AFP can reveal. The guidance appears to encourage high-polluting sectors to take the cheapest route towards limiting global warming, potentially decoupling emissions cuts from the temperature goals outlined in the Paris climate agreement.“

Aber wer oder was ist die ISO?

Die ISO bzw. International Standards Organization (Internationale Organisation für Normung) ist eine nichtstaatliche internationale Organisation, die eigenen Angaben zufolge freiwillige, auf Konsens basierende Normen für Produkte, Dienstleistungen usw. entwickelt. Mitglieder der ISO sind die nationalen Normungsinstitute aus 164 Ländern. Die internationalen Normen werden in sog. technischen Ausschüssen erarbeitet, die vom Technischen Lenkungsgremium der Organisation eingerichtet werden und sich aus technischen Experten und Expertinnen zusammensetzen, die von den Mitgliedern ernannt werden. Auf der Webseite der ISO heißt es, dass nicht die ISO selbst darüber entscheidet, wann eine Norm entwickelt wird, sondern dass die Organisation auf Anfragen aus der Industrie oder von anderen Gruppen reagiere, genauer gesagt: „Typischerweise teilt eine Industriebranche oder eine Gruppe den Bedarf für eine Norm seiner nationalen Normungsinstitution mit, die sich dann an die ISO wendet.“ Die ISO Verhandlungen laufen dabei nicht-öffentlich ab und die Dokumente werden auch nicht veröffentlicht. Die Eingriffe und Einflüsse der Industrie in diesen Prozessen ist aber sehr weitreichend. Dazu erklärt die ISO: „Experten aus der Industrie arbeiten maßgeblich an allen Aspekten des Entstehungsprozesses von Normen mit, von der Entscheidung, ob eine neue Norm gebraucht wird, bis hin zur Absteckung aller technischen Inhalte.“

Und warum ist diese potentielle neue Leitnorm so gefährlich?

Carroll Muffett vom Center for International Environmental Law (CIEL) fasst das mit seinem Zitat im AFP Artikel sehr gut zusammen:

„There is a really profound risk when you take something as untested, controversial, politically volatile and morally risky as geoengineering and you make it the subject of industry-driven, market-oriented standards.“

Die vorgeschlagene neue internationale Norm könnte sich überschneidende und sich möglicherweise widersprechende Standards schaffen, mit denen die Ziele der UN Klimarahmenkonvention und des Übereinkommens von Paris bezüglich Emissionsreduktionen untergraben und mit neuen allgemeiner gehaltenen, auf „Strahlungsantrieb“ basierenden Richtlinien ersetzt werden könnten.

Kurz als Hintergrund: Das Konzept des Strahlungsantriebs findet beim Weltklimarat und in der Klimaforschung eine breite Anwendung, um Zusammenhänge zwischen den Störungen des Klimasystems und den Temperaturveränderungen auf globaler und regionaler Ebene zu verstehen. Eine bessere Berechnung der Auswirkungen sog. kurzlebiger Klimaschadstoffe (also z.B. Ruß, Methan usw.) könnte grundsätzlich schon eine nützliche Ergänzung zum gegenwärtigen auf CO2 fokussierten System darstellen, das die Klimawirkung von Schadstoffen auf Zeitachsen von 100 Jahren misst.

Ein Problem entsteht jedoch, wenn die ISO den Strahlungsantrieb und nicht die Reduzierung von Treibhausgasemissionen zum entscheidenden Maßstab für den Klimaschutz und als Grundlage für die Festsetzung von Klimazielen macht. Denn es gibt keine lineare Beziehung zwischen Emissionen und Strahlungsantrieb – weder in einem bestimmten Jahr noch in der Zukunft. Die Menge an Strahlungsantrieb für jede Tonne Emissionen hängt jedes Jahr nichtlinear von den Bedingungen der Meere, des Landes, der Biosphäre und der Luft in der ganzen Welt ab – und das gilt auch für die Vergangenheit und die Zukunft. Deshalb nutzt der Weltklimarat komplexe allgemeine Zirkulationsmodelle der Atmosphäre, die an Land- und Meeresmodelle gekoppelt werden, um verschiedene hypothetische Emissionsszenarien zu simulieren. Daraus folgt, dass die Auswirkung auf den Strahlungsantrieb von allen Emissionsreduzierungen eines bestimmten zukünftigen Jahres nicht einfach – wie es die ISO vermutlich vorhat– aufaddiert und als korrekt für alle zukünftigen Jahre angenommen werden kann.

Klimawissenschaftlerinnen und Klimawissenschaftler, die in der Arbeitsgruppe I des Weltklimarats mitgearbeitet haben, würden das bestimmt jederzeit bestätigen.

Ein solcher ISO-Standard könnte zudem gezielt oder indirekt den Einsatz und die Kommerzialisierung von international umstrittenen, riskanten und zweifelhaften Geoengineering-Aktivitäten fördern und erleichtern, wodurch beispielsweise Technologien zur Beeinflussung der Sonnen- oder Erdstrahlung (wie etwa die Injektion von Aerosolen in die Stratosphäre oder die Aufhellung von Wolken über dem Meer) und Technologien zur Entnahme von Kohlenstoffdioxiden (wie die Ozeandüngung) als Methoden zur Bekämpfung des Klimawandels validiert und normalisiert werden könnten.

Die Leitnorm könnte zudem die Voraussetzungen für ein Marktsystem schaffen, bei dem diese Art von Projekten Gutschriften für die angebliche Kompensation von Treibhausgasemissionen erhalten können.

Und ganz wichtig: Wir dürfen die Diskussionen über das Geoengineering nicht aus den multilateralen UN-Foren und Rechtsrahmen verdrängen und einer technischen Normungsorganisation außerhalb des öffentlichen Blickfelds überlassen, die weder dazu konzipiert noch dafür ausgelegt wurde, sich mit derart umstrittenen und hochpolitischen Themen aus einer allgemeineren Perspektive zu befassen!

Kommende Woche trifft sich ein ISO-Ausschuss zu einer Sitzung in Berkeley, Kalifornien, um diese Leitnorm zu diskutieren. Allerdings muss es wohl Konsens unter den Expertinnen und Experten geben, wenn das Dokument innerhalb der ISO weitergereicht werden soll – das dürfte angesichts der gravierenden wissenschaftlichen Mängel und politischen Risiken mehr als ungewiss sein.

Übrigens: In Kalifornien gibt es auch einen Gesetzesentwurf zum Thema – Climate change: radiative forcing management climate accounting protocol:

„This bill would require the state board, by January 1, 2021, to adopt a climate accounting protocol to evaluate the potential of proposed climate mitigation and restoration actions to reduce radiative forcing and excess heat in the atmosphere to reduce the global and regional mean temperatures. […]

(f) International climate accounting standards aimed at identifying the most beneficial and cost-effective immediate climate actions that can be taken to reduce radiative forcing while safeguarding human health and the environment are anticipated to be published in 2020. […]

On or before January 1, 2021, the state board shall adopt a climate accounting protocol to evaluate the potential of proposed climate mitigation and restoration actions to reduce radiative forcing and excess heat in the atmosphere to reduce global and regional mean temperatures benefitting all Californians. In adopting the protocol, the state board may use “Radiative Forcing Management – Guidance for the quantification and reporting of radiative forcing-based climate footprints and mitigation efforts” issued by the International Organization for Standardization international radiative forcing accounting standards in a manner that is relevant and beneficial for California.“


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