Ein Schritt vor und zwei zur Seite: Wo steht die internationale Klimapolitik nach Cancun? Eine Analyse

Von Lili Fuhr und Ingrid Spiller

Vor einem Jahr ist der Klimagipfel in Kopenhagen gescheitert, die UN-Klimaverhandlungen waren nur noch ein Scherbenhaufen. In den frühen Stunden des Samstag morgen ist nun der erste Weltklimagipfel nach Kopenhagen im mexikanischen Cancun zu Ende gegangen. Das Ergebnis – das Cancun Agreement – hat viele Beobachter positiv überrascht, die im Post-Kopenhagen-Blues schon gar nicht mehr mit einer Einigung gerechnet hatten.

Nun gibt es einen neuen gemeinsamen Text, der im Schlussplenum unter großem Applaus angenommen wurde. Nur Bolivien hatte bis zum Schluss dagegen protestiert. Nach mehreren Vermittlungsversuchen wurden die Einwände von der mexikanischen Außenministerin Patricia Espinosa schließlich zu Protokoll genommen, das Dokument aber dennoch angenommen. Dieses Vorgehen ist in der UN-Geschichte einmalig und wird sicherlich noch viele Völkerrechtler beschäftigen. Bolivien hat bereits angekündigt, alle rechtlichen Instanzwege auszuschöpfen, um diesen Präzidenzfall anzufechten. Alle anderen Konferenzteilnehmer waren offensichtlich so erleichtert darüber, dass das Kopenhagen- Trauma überwunden wurde, dass niemand dieses Vorgehen in Frage stellte.

Doch was steht nun drin im Cancun Agreement? Ist der Jubel berechtigt? Oder ist er lediglich verzweifelter Ausdruck eines sehr tief sitzenden Pessimismus, der jeden noch so kleinen Fortschritt im multilateralen Prozess feiert, auch wenn die Substanz fehlt? Wir wagen eine aktuelle Analyse.

Das Cancun Agreement: Formalisierung des Kopenhagen Accords oder Vorstufe zum fairen und verbindlichen internationalen Abkommen?

Die gute Nachricht: es gibt eine Einigung. Sowohl für den Verhandlungstrack des Kyoto-Protokolls (KP) als auch für den zur langfristigen Kooperation im Sinne des Bali Aktionsplans (LCA) liegt ein neuer Text vor. Hier zunächst einmal ein Blick auf den LCA-Text und darauf, was dort Gutes drinsteht:

  • Das 2 Grad Ziel wird genannt (wenn auch leicht geschwächt) und es gibt sogar einen Hinweis, dass im Sinne eines späteren Reviews auf Grundlage klimawissenschaftlicher Forschungen auch über eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nachgedacht werden muss. Das ist bereits jetzt und zu Recht eine klare Forderung der Entwicklungsländer. Die Klimawissenschaft belegt die Notwendigkeit.
  • Ein Cancun Adaptation Framework wurde eingerichtet, um die Implementierung von Anpassungsmaßnahmen voranzutreiben.
  • Erwähnt wird das Prinzip der historischen Verantwortung der Industrieländer und ihres Beitrags zum Klimawandel. Das mag vielleicht banal klingen, drohte aber wiederholt auf Bestreben einzelner Länder aus dem Text herausgestrichen zu werden.
  • Errichtung eines neuen globalen Klimafonds (Green Climate Fund), dessen Board zur Hälfte von Industrie- und zur Hälfte von Entwicklungsländern besetzt werden soll. Aus diesem Fonds sollen in einem ausgewogenen Verhältnis sowohl Mitigations- als auch Adaptationsmassnahmen finanziert werden, wobei mit letzterem vor allem einer Forderung der Entwicklungsländer Rechnung getragen wird.
  • Es wird Bezug auf die Resolution 10/4 des Menschenrechtsrates genommen und anerkannt, dass der Klimawandel auch Menschenrechte verletzt.
  • Gendergleichheit und die Rechte indigener Völker werden an mehreren Stellen explizit erwähnt.

Der KP-Text enthält folgende guten Elemente:

  • Eine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls ist angedacht. Die Sprache ist allerdings so vage, dass sich sowohl die Gegner als auch die Befürworter darin wiederfinden. Was immer das heißen mag. Jedenfalls ist das Kyoto-Protokoll in Cancun noch nicht begraben worden.
  • Eine Einigung auf das Basisjahr 1990 für alle Emissionsreduktionsziele der Kyoto-Länder. Bisher hatten unterschiedliche Basisjahre zu großer Verwirrung und keiner Vergleichbarkeit der Ziele geführt.

Trotz all dieser schönen Elemente – die uns vielleicht in etwa dahin bringen, wo wir uns eigentlich alle schon vor drei Jahren in Bali gewähnt hatten (nämlich auf gutem Prozess zu einem baldigen verbindlichen Abkommen) – gibt es mehr als ein großes Aber. Die Mängel sind eklatant und lassen nur einen Schluss zu: Der politische Wille für fundamentalen Wandel fehlt weiterhin. In diesem Sinne sind wir seit Kopenhagen so gut wie keinen Schritt weitergekommen. Vielmehr treten wir auf der Stelle und machen einzelne kleine Fortschritte durch Schritte zur Seite (Einbauen von Schlupflöchern, Verzögerungstaktik in den Verhandlungen usw.) wieder zur Nichte. Nicht gebracht hat uns Cancun:

  • Eine Einigung auf konkrete und verbindliche Emissionsreduktionsziele, die die globale Erwärmung auf maximal 2 Grad oder sogar 1,5 Grad begrenzen. Vor allem wurden die langfristigen Ziele für 2050 geschwächt. Das liegt an der berechtigten Angst der großen Schwellenländer, angesichts der dürftigen Ziele der Industrieländer für 2020 nun selbst für 2050 eine unfaire hohe Verantwortung tragen zu müssen, auf die sie sich jetzt nicht einlassen wollen.
  • Die Lücke zwischen vorliegenden Zielen und klimawissenschaftlicher Notwendigkeit („Gigatonne Gap“) wird anerkannt, allerdings fehlt der Prozess, sie zu schließen.
  • Der Ruf nach 25-40 % Emissionsreduktionen für die Gruppe der Kyoto-Industrieländer ist zwar in der Theorie richtig, aber wertlos, wenn wir gleichzeitig wissen, welche Länder das Kyoto-Protokoll begraben wollen (u.a. Japan, Kanada, Russland).
  • Konkrete Zusagen von Summen, die den neuen schönen Green Climate Fund dann auch füllen werden. Auch gibt es keine Aussagen darüber, aus welchen Quellen die Gelder stammen sollen, und wer wie viel zahlen muss. Damit bleibt die berechtigte Sorge, dass es sich um einen weiteren leeren Fund handeln könnte – egal wie gut die Governance am Ende aussehen mag.
  • Eine große Sorge der Entwicklungsländer wurde nicht aus dem Weg geräumt: Zwar soll der neue Green Climate Fund zur Hälfte von Industrie- und zur Hälfte von Entwicklungsländern gesteuert werden. Aber die Weltbank wird zunächst als Interims-Trustee eingesetzt. Über die endgültige Governance-Struktur soll nach drei Jahren Tätigkeit auf Grundlage eines Review Prozesses entschieden werden. Da es der Weltbank bisher sehr gut gelungen ist, den bereits seit Poznan aktiven Adaptation Fund dadurch zu unterminieren, dass sie mit eigenen neuen Fonds Fakten schafft und auch weiterhin keinesfalls bewiesen hat, dass sie eine Kehrtwende von der Strukturanpassungspolitik und fossilen Industriepfadforcierung vollzogen hat, dürfen die Entwicklungsländer zurecht besorgt sein, ob dies eine weise Entscheidung ist.
  • Angesichts der Dringlichkeit von Maßnahmen zur Anpassung an die bereits jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels vielerorts in der Welt und der Mauschelei mit den in Kopenhagen zugesagten Gelder zur Fast Start Finance bis 2012 ist es ein Skandal, dass es auch in Cancun keine Entscheidung dazu gegeben hat, diesen eklatanten Mangel mit konkreten Schritten zu beheben.
  • Die Verhandlungen zu REDD (Waldschutz) sind zwar einen großen Schritt vorangekommen. Allerdings ist der Text weiterhin als Kompromiss einzuordnen. Ungeklärt sind u.a. die Frage der Einbeziehung in den Emissionshandel, der Umgang mit subnationalen Aktivitäten und die rechtliche Verbindlichkeit sog. Safeguards.

Der Prozess ist nicht das Problem

Der Klimagipfel in Cancun hat deutlich vor Augen geführt: Der internationale Verhandlungsprozess ist nicht das Problem. Die mexikanische Präsidentschaft hat ihr selbstgestecktes Ziel erreicht, den multilateralen Prozess wieder auf die Schiene zu setzen. Sie hat aus dem Fiasko von Kopenhagen gelernt und den Prozess so offen und transparent wie möglich gestaltet. Der Text wurde in den letzten Tagen nicht von einer ausgewählten Minderheit von Staats- und Regierungschefs im berühmten Hinterzimmer und unter Ausschluss nicht nur der Öffentlichkeit, sondern unter Einbeziehung auch der ärmsten und vom Klimagipfel am meisten betroffenen Länder ausgehandelt. In Cancun durften alle Minister mitarbeiten, die Türen der Arbeitsgruppen standen offen. Dafür hat die Präsidentin der COP 16, Patricia Espinosa, zu Recht viel Lob – und von den Delegierten gar minutenlange stehende Ovationen – erhalten. Ob die Konferenz mit der Annahme des Textes trotz der Ablehung durch Bolivien neue UN-Geschichte geschrieben hat oder irgendwann als völkerrechtlich unrechtmäßig bewertet werden wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar.

Und trotzdem haben wir nicht das Ergebnis, das wir brauchen. Zusammen addiert und unter Berücksichtigung der zahlreichen Schlupflöcher ergeben die Reduktionsziele der Annex-1(Industrie-)Länder gerade mal eine Minderung von wenigen Prozent gegenüber 2020 (manche sagen 2 %) mit Basisjahr 1990. Das ist eine Katastrophe.

Doch die fundamentalen Änderungen, die nötig sind, um daran zu rütteln, können nicht in den UN-Verhandlungen herbeigeführt werden. Diese können lediglich dazu beitragen, die Dringlichkeit vor Augen zu führen, noch Schlimmeres zu vermeiden und den Prozess in Gang und auf Kurs zu halten. Ohne multilateralen Prozess wäre noch nicht einmal das möglich.

Es geht um viel mehr als das globale Klima

Dass Klimapolitik mehr ist als Umweltpolitik ist inzwischen in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Der Link zwischen Klimawandel und Entwicklung ist gut dokumentiert und auch im Verhandlungsprozess verankert. Inwiefern er auf nationaler Ebene in der Ausgestaltung von politischen Entscheidungs- und Implementierungsprozessen Berücksichtigung findet, sei hier jedoch noch einmal dahingestellt. Wichtiger ist aber noch: Das Rad, an dem wir drehen, ist weitaus größer als vordergründig verhandelt wird. Deshalb ist es so schwer und scheint sich keinen Zentimeter zu bewegen.

Klimapolitik ist viel mehr als Green Economy im Norden und low-carbon development im Süden. In Frage stehen die fundamentalen Grundlagen unserer Gesellschaftssysteme und die globalen Machtverhältnisse. Innerhalb des Systems werden wir den notwendigen Wandel nicht schaffen. Aber was das neue System sein wird, wissen wir noch nicht. Wie schaffen wir Wohlstand ohne fossilen Ressourcenverbrauch? Wie verteilen wir um, ohne neue Verlierer zu schaffen? Welche Art von Ökonomie brauchen wir, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, ohne über unsere Verhältnisse zu leben? Und auch: was dürfen wir noch hoffen und wie überwinden wir unsere Angst? Was müssen wir dafür tun?

Die Antwort ist einfach: alles. Wir müssen alles und alle in Bewegung setzen. Die Strategien müssen zahlreich, vielfältig und effektiv sein. Und vor allem müssen sie an den Grundfesten der Probleme rütteln. Alle bisherigen Strategien der kleinen Verhandlungsschritte haben nicht ausgereicht – auch das lehrt uns das Ergebnis von Cancun: Der politische Wille zum Wandel kommt nicht über Nacht und vor allem nicht von allein. Hier ist die Zivilgesellschaft gefordert, und zwar gleichermaßen mit Reformvorschlägen innerhalb des Verhandlungsgeschehens als auch mit radikalem Protest.

In Mexiko ist es nicht gelungen, diese „Innen-“ und „Außen-“Prozesse miteinander zu verbinden. Während auf den zivilgesellschaftlichen Parallelforen außerhalb des offiziellen Verhandlungsprozesses berechtigte fundamentale und radikale Kritik am Klimaregime und seinen marktimanenten Mechanismen geäußert wurde, ohne konkrete Handlungswege aufzuzeigen und sich damit hart am Rande zur Irrelevanz bewegend, laufen die eng am Verhandlungsgeschehen beteiligten NGOs Gefahr, in der Verhandlungsdynamik gefangen zu werden und ihre Watchdog-Funktion zu verlieren. Notwendig ist eine Verknüpfung beider Strategien.

Was können wir für die COP 17 erwarten?

Auch der Klimagipfel in Durban (Südafrika) 2011 wird uns aller Voraussicht nach nicht das faire, ambitionierte und rechtlich verbindliche globale Abkommen bringen, das wir brauchen. Dafür ist das Rad zu groß, an dem wir drehen Aber Durban kann und muss uns im besten Fall ein rechtlich verbindliches Abkommen bringen, das umfassend und stark genug ist, den globalen Kurswechsel einzuleiten und Mechanismen und Elemente enthält, die im Sinne eines iterativen Prozesses kontinuierliche Nachbesserungen erlauben – die es natürlich geben muss. Doch wird das reichen?

Die Zeit ist knapp und wird immer knapper. Die globalen Emissionen müssen in Kürze ihren Scheitelpunkt überschreiten und dann rapide gesenkt werden. Möglich ist das nur, wenn ein baldiges Klimaabkommen einen Kern von Prinzipien beinhaltet und bestimmte Grenzen nicht überschreitet. Hierzu gehören unter anderem:

  • Keine faulen Kompromisse: Die Welt darf sich nicht von einem einzigen Land in Geiselhaft nehmen lassen. Globaler Klimaschutz ohne die USA ist nicht machbar. Aber was tun, wenn genau das Land, das die größte Verantwortung trägt, politisch handlungsunfähig ist und zum jetzigen Zeitpunkt kein Abkommen ratifizieren wird? Der Prozess muss so gestaltet werden, dass eine spätere Beteiligung der USA in jedem Fall möglich ist. Und gleichzeitig darf es bei den Kernfragen und Prinzipien keine faulen Kompromisse gegenüber den USA geben.
  • Faire Lastenteilung: Auch wenn wir uns derzeit de facto in einem Bottom-Up Pledge & Review System befinden (jeder legt auf den Tisch, was er kann und will), das uns nur den kleinsten gemeinsamen Nenner beschert, muss es weiter darum gehen, die Herausforderung als global anzuerkennen und darauf hinzuwirken, dass die Beiträge zum Klimaschutz insgesamt sowohl der Größenordnung des Problems gerecht werden als auch transparent und vergleichbar faire Verpflichtungen für alle enthalten. Kooperation und Vertrauen auf Seiten der Entwicklungs- und Schwellenländer wird es nur geben, wenn die alten Industrieländer ihrer historischen Verantwortung gerecht werden und in Führung gehen. Schlüssel ist hierfür u.a. eine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls – die eben Länder wir Japan, Russland und Kanada derzeit aktiv zu verhindern versuchen.
  • Versprechen halten, Gelder bereitstellen: $ 30 Milliarden bis 2012 und $ 100 Milliarden jährlich bis 2020 haben die Industrieländer in Kopenhagen versprochen. Geflossen ist von diesen Geldern bisher kaum etwas. Und das, was fließt, ist oft alter Wein in neuen Schläuchen. Gerade für die Anpassung an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels stehen nur Minimalbeträge bereit. Auch hier ist sehr klar: an Geldmangel liegt das nicht. Das hat uns nicht nur die Finanzkrise gezeigt. Mit innovativen Finanzierungsquellen wie der Versteigerung der Emissionsrechte, Abgaben auf Flug- und Schiffverkehr oder Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer ließe sich vielmehr Geld mobilisieren als $ 100 Milliarden jährlich. Zusätzlich müssen klimaschädliche Subventionen abgebaut werden. Um die Summen geht es also gar nicht so sehr. Der politische Unwille hat vielmehr damit zu tun, dass es eben nicht „nur“ um das Klima geht, sondern um einen fundamentalen Wandel der globalen Ökonomie und auch der ökonomischen Machtverteilungen auf der Welt. Da ist eine riesige Chance für die Armen dieser Welt – aber eben auch eine große Gefahr für die Reichen und Mächtigen, die alles tun werden, um ihre Machtstellung zu erhalten.
  • Normen und Prinzipien einfordern, falsche Auswege verhindern: Die quantitative Herausforderung ist enorm. Doch zugleich dürfen wir nie vergessen, dass Geld allein das Problem nicht löst, sondern sogar neue Probleme schaffen kann, wenn es falsch eingesetzt wird. Klimafinanzierung findet nicht im norm- und rechtsfreien Raum statt. Menschenrechtskonventionen, internationales Umweltrecht und geltende Standards aus der Entwicklungsfinanzierung müssen ihre Berücksichtigung in den neuen Klimafinanzierungsinstrumenten finden. Fehlinvestitionen – z.B. in Atomenergie, Mega-Staudämme und Gentech-Landwirtschaft – haben da keinen Platz. Greening the Economy ist auch eine Frage des Prinzips. Darum wird es unter anderem auch bei der Konferenz in Rio 2012 gehen.

Welche Rolle für die Zivilgesellschaft?

Zivilgesellschaftliche Gruppen haben eine wichtige Funktion in den Klimaverhandlungen. Sie sorgen für Transparenz und schauen im Sinne einer Watchdog Funktion ihren Regierungen auf die Finger. Ohne eine solche Beteiligung – die oft mager genug ausfällt und vielfach bewusst erschwert wird – wäre die Gefahr sehr groß, dass die Verhinderer, Skeptiker und Blockierer den Prozess sofort gegen die Wand fahren würden. In Mexiko wurde, anders als bei anderen Klimakonferenzen, die zivilgesellschaftliche Beteiligung am Verhandlungsprozess durch räumliche Trennung erschwert. Die Informationsstände und die Räume für die Side Events lagen ca. 8 km entfernt von den Verhandlungsräumen und den Delegationsbüro. Übermäßiges Busfahren war also angesagt, wollte man an beiden Orten des Geschehens agieren.

Zivilgesellschaft hat aber auch eine wichtige und unverzichtbare Funktion dabei, die nationalen Rahmenbedingungen zu verändern, um so überhaupt erst die Voraussetzungen für ein ambitioniertes, faires und verbindliches internationales Abkommen zu schaffen. Wie sehr es zur Zeit daran mangelt, zeigen die unzureichenden Verhandlungsfortschritte.

Zivilgesellschaft global muss sich also mehr denn je fragen, wie viel Ressourcen (finanziell, personell, Zeit) sie in den eigentlichen Verhandlungsprozess steckt und wie viel sie in die Veränderung der Rahmenbedingungen auf nationaler (und individueller) Ebene investiert. Das sollte eigentlich spätestens seit Kopenhagen klar sein. Aber ein Kurswechsel auf NGO-Ebene ist in den letzten Monaten noch nicht so deutlich zu spüren gewesen, wie es nötig wäre.

„Cancun darf kein zweites Kopenhagen werden“, hörte man in den letzten Wochen oft von verschiedener Seite. Das gilt natürlich auch für den nächsten Klimagipfel im südafrikanischen Durban. Kein Kopenhagen bedeutet aber auch, dass es gelingen muss, zivilgesellschaftliche Kräfte so zu bündeln, dass Mobilisierung und Widerstand von außen auf der einen Seite und intensive Beobachtung und Watchdog-Funktion von innen auf der anderen Seite ineinandergreifen. Ohne multilaterale Klimaverhandlungen ist das 1,5 Grad Ziel nicht zu halten. Aber ohne massive Anstrengungen, die fundamentalen Änderungen auf nationaler und lokaler Ebene herbeizuführen, die notwendig sind, um den politischen Willen zu kreiieren und Substanz in die Verhandlungen zu bringen, ist der beste Prozess wertlos.

Lili Fuhr leitet das Referat Internationale Umweltpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin; Ingrid Spiller ist Büroleiterin des Regionalbüros Mittelamerika und Karibik in Mexiko.

Aktueller Hinweis (25.1.2011):  Jetzt ist auch eine neues Papier online, dass die Cancun-Ergebnisse aus regionalen Perspektiven (Mexiko, EU, China, Indien, USA…) analysiert.


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