Ob vom Wahlkampf getrieben oder nicht: Die deutsche Bundesregierung zieht sehr schnell Konsequenzen aus dem japanischen Atomunfall. In den USA ticken die Uhren ganz anders.
Als Europäer in Washington reibt man sich die Augen. Das gilt sicher um so mehr, wenn man den Reaktorunfall von Tschernobyl als physische Bedrohung in seiner eigenen Kindheit erlebt hat und mit Anti-AKW-Bewegung und dem rot-grünen Atomaussteig groß geworden ist. Die Bundesregierung schaltet sieben Atommeiler mindestens vorübergehend ab. Viele deutsche Kommentatoren meinen, dass sei das Ende der Atomkraft – in Deutschland sowieso, aber auch darüber hinaus. In den USA wird der japanische Unfall sehr distanziert diskutiert. Konsequenzen für die eigene Energiepolitik ziehen die wenigsten. Beispiele gefällig?
Für die erste Stellungnahme seiner Regierung zum japanischen Reaktorunglück hat Präsident Obama das Energieministerium und die Atomaufsichtsbehörde vorgeschickt. Dessen Vertreter ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Regierung unbeeindruckt von den japanischen Ereignissen an der Atomkraft und weiteren Ausbauplänen festhält. Daniel Poneman, Staatssekretär im Energieministerium, erklärt: „We view nuclear energy as a very important component to the overall portfolio we’re trying to build for a clean energy future… Each event as it occurs is taken into account, but we don’t change from day to day our approach. Nuclear power has been a critical component to the U.S. energy portfolio [and] … we do see nuclear power as playing an important role in building a low-carbon future.“
Dieser Kommentar von Klimaexperten des regierungsnahen Center for American Progress (CAP) spiegelt wider, wie weit die USA von einem Ausstieg entfernt sind. Die progressiven Vordenker ziehen „radikale“ Konsequenzen aus dem Atomunfall in Japan, die im Vergleich zu Deutschland geradezu kleingeistig wirken: Sicherheitsüberprüfung für alte Reaktoren, Gelder für Tsunami-Warnsysteme nicht kürzen, Bürgschaften für neue(!) Reaktoren nur noch unter strengen Bedingungen.
Von den großen Zeitungen bezweifeln alle, dass die USA auf Atomkraft und weitere Neubauten verzichten könne. Das höchste der Gefühle sind vorsichtige Fragen über die Risiken und Sicherheitsstandards amerikanischer Atomkraftwerke, wie sie in diesen Kommentaren der Washington Post und der New York Times gestellt werden.
Der Präsident selbst gibt keine gute Figur ab. Damit meine ich nicht, dass er generell Atomkraft in seine Klima- und Energieagenda mit einbezogen hat. Das ist u.a. den politischen Realitäten des Landes geschuldet. Doch anders als in anderen Politikfeldern lag Obama mit seinem Urteilsvermögen in der Energiepolitik jeweils daneben. Für einen überparteilichen Kompromiss hat er zwei Wochen vor der Ölkatastrophe im Golf von Mexico vorgeschlagen, Öl- und Gasbohrungen auszuweiten. Wenige Monate vor dem Atomunfall in Fukushima hat er ähnliches für den Ausbau der Atomkraft in der USA gemacht. Poor jugdement sagen die Amerikaner dazu.
Aus deutscher Sicht mag das einigermaßen trostlos erscheinen. Natürlich gibt es eine anti-AKW-Bewegung, die gerade kämpft wie ein Löwe. Doch sie ist klein und hat im Vergleich zur Gegenseite wenig Ressourcen. Vorne weg die NGO Beyond Nuclear, deren Experten durch die diversen TV-Kanäle tingeln (z.B. Linda Gunter hier) und den verdutzten Moderatoren erklären, dass Atomkraft keine saubere Energie ist. Die Physicians for Social Responsibility (mit aktuellen Artikel hier) und die Union of Concerned Scientists. Oder der Sierra Club, dessen Vorsitzender in der Huffington Post nüchtern eine Risikoanalyse erläutert. All das ist weit weg davon, einen grundsätzlichen Kurswechsel in der Energiepolitik einzuläuten. Bislang herrscht in den USA eine Nuclear Power Madness. Der Abschied von der Atomrenaissance wird in den USA nicht aus Sorge vor Reaktorunfällen eingeleitet, sondern aus finanzieller Notwendigkeit.
Foto: von Leo Reynolds unter CCL.