Todbringende Hybris

Es geht uns allen seit letztem Freitag so: Ich bin Spiegel Online Junkie geworden. Angespannt, erschüttert und immer noch hoffend verfolge ich, wie die Apokalypse ihren Lauf nimmt. Ohne etwas tun zu können. Das Schlimmste ist für mich ist, dass der Mensch es geschafft hat, der zerstörerischen Kraft der Naturgewalten eins drauf zu setzen. Es besteht die reale Gefahr, dass der Verlass auf eine lebensbedrohliche Technologie wie die Atomkraft das Leben von Millionen von Menschen ruiniert. Wie kann das 25 Jahre nach Tschernobyl noch mal passieren? Ist die Menschheit nicht in der Lage zu lernen?

Die Antwort finde ich in meinen Mails der letzten Wochen: Die Heinrich Böll Stiftung hat am 12/13 April anlässlich des 25 jährigen Jahrestags des Super Gau in Tschernobyl eine Ausstellung und eine Konferenz geplant. Anlässlich der „verbalen“ weltweiten Renaissance der Atomkraft wollte ich Befürworter und Gegner der Atomkraft zu Wort kommen lassen. Die Befürworter begegneten diesem Anliegen weitgehenden mit Ablehnung. So weigerten sich alle Vertreter der World Nuclear Association, sich der Diskussion um die Vor- und Nachteile der Atomkraft zu stellen. Ihr Argument: Atomkraft sei ohnehin weltweit im Kommen. Nicht nur in Schwellenländern wie China und Indien, auch in Deutschland hätten die politische Führung verstanden, dass man Atomkraft brauche. Eine Auseinandersetzung mit den Gegnern sei deswegen nicht notwendig. Die Industrie hätte seit 25 Jahren daran gearbeitet, dass ein solcher Unfall wie in Tschernobyl nicht mehr passiere – deswegen müsse man auch nicht mehr über Tschernobyl reden.

Ich wünschte, diese Arroganz wäre berechtigt gewesen. Doch sie zeigt nur, wie wenig diejenigen, denen wir tagtäglich unsere Sicherheit anvertrauen, hingucken: Sie stellen sich Ihren Kritikern nicht, sie lernen nicht aus Ihren Erlebnissen.

Dass ein Umdenken auch von Menschen möglich ist, die ihr Leben lang für die Atomindustrie gearbeitet haben, zeigt Lars-Olov Höglund. Der ehem. Chef der Konstruktionsabteilung von Vattenfall ist zu einem scharfen und wahrscheinlich realistischsten Kritikern der Atomindustrie geworden. Anlass war der beinah Unfall in der Atomanlage in Forsmark. Höglund hat diese Anlage mitkonstruiert und gelernt, dass kein Mensch und kein Ingenieur das totbringende Restrisiko ausschließen kann.

Wenn die Atomlobby nicht lernen will, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie lernen muss: Wir werden dafür sorgen, dass die Atomkraftwerke weltweit abgeschaltet werden.


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