„Going for Green Growth“ – was genau meinen die 13 europäischen Umweltminister/innen damit?

Kurz vor dem Warschauer Klimagipfel haben sich 13 europäische Umweltminister/innen, darunter auch der deutsche,  mit einem vielzitierten und gelobten Papier („Going for Green Growth – The case for ambitious and immediate EU low carbon action„) für größere Klimaschutzambitionen der EU ausgesprochen. Das klingt doch erstmal nach einer sinnvollen Initiative. Die internationale Klimapolitik braucht definitiv mehr Optimismus und die EU in diesem Themenfeld mehr Einigkeit! Doch was steht wirklich drin in diesem Pamphlet und wie ist das zu bewerten?

Vielleicht fange ich erstmal damit an, was nicht drinsteht: Nicht vorkommen tun z.B. die Subventionen, die die EU jährlich zur Förderung fossiler Energie ausgibt. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass Oettinger diese vor Kurzem aus dem kollektiven Gedächtnis zu streichen versucht hat. Ebenfalls nicht bzw. kaum vorkommen tut – und das ist dann doch äußerst merkwürdig – die Förderung erneuerbarer Energien. Das ist zwar im Text immer wieder am Rande ein Thema, aber nicht die Kernbotschaft des Papiers, wenn es um’s konkrete Handeln geht.

Denn im Sinne von konkreten Maßnahmen geht es den Minister/innen vor allem um den Emissionshandel (reparieren, stärken, ausweiten und mit anderen Emissionshandelssystemen der Welt verbinden). Hier heißt es dann:

The recent difficulties with the EU ETS have masked the accelerating growth in carbon markets and emission trading schemes in many other parts of the world.

Die „demonstrative power of the EU ETS“ und die „carbon market leadership“ der EU werden ins Feld geführt, um das Wachstum des Emissionshandels und die Verlinkung mit anderen Ländern zu fordern. Dabei führen die Autor/innen dann ein Zitat von Nicholas Stern aus dem Jahr 2006 (!) an:

The next 10 to 20 years will be a period of transition, from a world where carbon-pricing schemes are in their infancy, to one where carbon pricing is universal and is automatically factored into decision making.

Da frage ich mich dann doch, für wie naiv sie uns halten?! Wenn der EU ETS 2006 noch in den Kinderschuhen steckte: wann ist er denn erwachsen geworden? Es sind mehr als 7 Jahre vergangen und ich denke nicht, dass man die aktuelle Krise des EU ETS mit „recent difficulties“ abtun kann.

Die Herren (und wenigen Damen) Umweltminister treiben es aber noch auf die Spitze: Die EU solle ihr Gewicht in Freihandelsabkommen dafür einsetzen, den Emissionshandel zu stärken, CO2 Standards durchzusetzen und CO2-arme Technologien zu fördern. Tatsächlich ist es aber so, dass es hinsichtlicher der Verhandlungen mit den USA um ein transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP) a) um den Export von Schiefergas (und auch Kohle) nach Europa geht und b) die deutsche Energiewende durch neue Klagerechte für amerikanische Investoren in Gefahr gerät (siehe Beispiel Vattenfall).

„Low carbon“ ist nicht gleich „Sonne, Wind, Biomasse und Wasser“. Es ist kein Zufall, dass in diesem Papier letztlich nur ein verbindliches Ziel für eine EU Klima- und Energiepolitik gefordert wird, nämlich ein CO2-Reduktionsziel. Und genau da liegt das Problem (wozu meine Kollegin Silvia Brugger aus Brüssel hier auch nochmal schön die Gemengelage beschreibt): ein Co2-Emissionsminderungsziel (operationalisiert durch einen strukturell schwachen Marktmechanismus) ist „technologieneutral“ (so nennen das Shell und Co gerne, wenn sie meinen, dass sie dann weiterhin Atom und „saubere“ Kohle machen dürfen) und der Markt bestimmt effizient und kostengünstig, wie das Ziel erreicht wird (kurzfristige Minderung durch Bau eines neuen effizienten Kohlekraftwerks zum Beispiel statt Ausstieg aus den fossilen Energien).

Und dann sind da natürlich noch die „Problemkinder“, die energieintensiven Industriezweige. Da müssen sich die Umweltminister/innen natürlich rechtfertigen, warum sie denen Jahr um Jahr neue Ausnahmen gewähren, Verschmutzungszertifikate umsonst zuteilen und teilweise die Stromrechnungen erlassen. Das ist einfach begründet: wir brauchen die Chemie-, Zement- und Stahlindustrie, um unsere Windräder, Elektrobatterien und neuen leichten Flugzeuge zu bauen. Der Schluss:

We should continue to provide sufficient and targeted support to these industries, based on sound analysis of carbon leakage risks.

Übersetzt: Die päppeln wir weiter und geben ihnen alles, was sie wollen, solange sie damit drohen, dass sie sonst aus der EU auswandern werden. Und außerdem ist es ja alles nicht so schlimm, weil wir schon viel effizienter produzieren als noch vor wenigen Jahren! Nicht erwähnt wird dabei der sog. Rebound Effekt, der jegliche Effizienzgewinne auffrisst, wenn wir keine Grenzwerte setzen und die Wirtschaft munter weiterwächst. Und gestolpert bin ich da wirklich über eine Behauptung aus dem Paper der Umweltminister/innen:

In Europe in the last twenty years economic growth has been decoupled from increasing carbon emissions.

Merkwürdig – da ist die Projektgruppe 3 der Enquete Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität des letzten Bundestages aber zu einem anderenn Ergebnis gekommen.

Da geht mir der Optimismus unserer Politiker/innen dann doch einen Schritt zu weit. Ebenso bei der Frage von „co-benefits“, also gewünschten positiven Nebenwirkungen einer effektiven Klimapolitik: Klimaschutz erfordert Naturschutz und besonders den Erhalte von CO2-Senken. Und hier hat die Studie The Economics of Ecosystems and Biodiversity (TEEB) die globalen Business Möglichkeiten ausgelotet: $ 2-6 Billionen bis 2050 plus weitere $ 3,7 Billionen durch Walderhalt. Wer würde das missen wollen? Die Probleme dieses Denkens und Ansatzes beschreibt Barbara Unmüßig in ihrem Beitrag Natur AG sehr treffend.

Fazit: Eine gemeinsame Initiative europäischer Umweltminister/innen für eine ambitioniertere europäische Klimapolitik ist begrüßens- und lobenswert. Aber da diese Herren und Damen nun mal bestimmten Lobbyeinflüssen ausgesetzt sind (Automobillobby in D, Ölindustrie in GB und NL, Atomlobby in F usw.) lohnt sich in jedem Fall ein genauer Blick in das Papier, bevor wir es in hohen Tönen loben.

 

 

 

 


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