Wachstum nach ICAO: 700 Prozent mehr fliegen – 0 Prozent mehr Emissionen!

Von Dienstag dieser Woche bis Freitag der kommenden Woche treffen sich die Mitgliedstaaten der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO zu ihrer 39. Versammlung im kanadischen Montreal.

Neben allerlei luftfahrttechnischen Angelegenheit wurde gestern über den Tagesordnungspunkt 22 diskutiert: International Aviation and Climate Change. Unter diesen Punkt fällt auch der Vorschlag einen globalen marktbasierten Mechanismus (CORSIA) einzuführen, über den die ICAO dem Treibhausgasausstoß der Luftfahrt begegnen möchte. Die Emissionen aus der Zivilluftfahrt (ebenso wie aus dem Schiffsverkehr) sind im Pariser Klimaabkommen nicht erfasst, vor allem deswegen, weil die Zuordnung der Emissionen zu einzelnen Staaten wegen des grenzüberschreitenden Ausstoßes naturgemäß sehr schwierig ist.

Die ICAO möchte also nun etwas mit den Emissionen machen. „Reduzieren“ wäre hier das falsche Wort. Die ICAO spricht auch nur von „Carbon-Neutral Growth„. Denn nach ihren Vorstellungen soll der Stand der Treibhausgasemissionen von 2020 als Basislinie dienen und dieser Stand soll nicht mehr steigen, in der Theorie jedenfalls. Der internationale Luftverkehr soll trotzdem weiterwachsen. Für die nächsten 6 Jahre sowieso erstmal ohne Carbon Neutralität, ab 2020 dann „carbon neutral“, für alle Länder, die sich freiwillig beteiligen wollen und ab 2027 dann verbindlich für alle ICAO-Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission spricht von einem erwarteten Wachstum des internationalen Flugverkehrs von 700% bis 2050. Und das obwohl nur 7 % der Weltbevölkerung überhaupt fliegen! Um dieses Wachstum CO2-neutral zu gestalten setzt die ICAO zwar auch auf höhere Energieeffizienz durch bessere Technik und operative Verbesserungen, aber vor allem auf Offsetting, also die Finanzierung von Klimaschutz und Emissionsvermeidung anderswo auf der Welt.  Das soll durch einen freiwilligen Marktmechanismus funktionieren, der außerhalb dessen arbeitet, was im Pariser Abkommen entwickelt werden soll.

Problematisch ist das in mancherlei Hinsicht: zum einen ist natürlich der späte Beginn (ab 2020) und die noch spätere Verbindlichkeit (ab 2027) des geplanten CO2-neutralen Wachstums inakzeptabel. Das wird auch vom Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft kritisiert, wenn auch aus anderen Gründen und vor dem Hintergrund, dass er das ganze Offsetting-System für ein prima Klimaschutzinstrument hält. Für deutsche Umweltschutzorganisationen untergräbt der späte Beginn der obligatorischen Maßnahmen „das ab 2020 versprochene Ziel eines kohlenstoffneutralen Wachstums.“

Außerdem besteht durch die Parallelstruktur zum Pariser Klimaabkommen die große Gefahr, dass beim Klimaschutz kräftig geschummelt wird: Laut eines Berichts der Waldschutzorganisation FERN werden mit dem parallelen Aufbau eines Marktmechanismus durch die ICAO Möglichkeiten zum double-counting von Emissionsreduktionen eröffnet, vor allem wenn das Offsetting über Waldschutzprojekte aus dem REDD+-Mechanismus stammen. Denn wenn die aus dem ICAO-Mechanismus Reduktionszertifikate aus einem Land verkauft werden, müssten diese natürlich auch aus dem Gesamtinventar dieses Landes, das im Rahmen des Pariser Abkommens maßgeblich ist, gestrichen werden. Da es aber im UNFCCC-Abkommen bisher die Berechnungsregeln noch nicht geklärt sind, sind Doppelzählungen fast nicht zu verhindern (dazu gibt es einen Bericht vom Wuppertal Institut).

Zum anderen sind Emissionsreduktionen über Aufforstung nicht gleichwertig mit „echten“ Reduktionen aus dem Verzicht auf Verbrennung fossiler Brennstoffe. Wald und Böden entlassen die zuvor gespeicherten Treibhausgase wieder, wenn Bäume absterben und verrotten oder Böden aufgebrochen werden. CO2 kann also so nicht zuverlässig gespeichert werden.

Und nicht zuletzt ist die schiere Menge der benötigten Offsets beängstigend: Nach Berechnungen des Öko-Instituts müssten zwischen 2021 und 2035 etwa 3,3 Gigatonnen CO2 über Kllimaschutzprojekte ausgeglichen werden. Das ist etwa doppelt so viel wie das europäische Emissionshandelssystem zwischen 2008 und 2020 nachgefragt haben wird und die Hälfte dessen was der Clean Development Mechanism eventuell liefern könnte.

Um die Internationale Zivilluftfahrtorganisation dazu zu drängen, Emissionen hauptsächlich bei sich zu reduzieren – vor allem durch weniger Flüge -, anstatt die Aufgabe anderen aufzubürden, haben verschiedene Umweltorganisationen Kampagnen während der ICAO-Versammlung gestartet: z.B. System Change – Not Climate Change, das Global Anti-Aerotropolis Movement GAAM und auch FERN.

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