Warum das Scheitern der Klimaverhandlungen in Madrid (auch) ein Glücksfall ist

Ein Beitrag von Jörg Haas, Heinrich-Böll-Stiftung

Die Klimakonferenz in Madrid ging in die längste Verlängerung aller bisherigen Klimakonferenzen. Bis in den Sonntagvormittag hinein wurde verhandelt. Und doch wurde nur ein schwaches Abschlussdokument beschlossen, das fast alle wesentlichen Fragen auf nächstes Jahr verschob. Ein Scheitern, gar eine Katastrophe für den Klimaschutz? Ich glaube, dass unter den absehbaren möglichen Ergebnissen der Konferenz dieses Scheitern in einer Hinsicht – nämlich des Emissionshandels – eine gute Sache ist.

Um diese Einschätzung zu verstehen, muss man sich anschauen, was in Madrid eigentlich verhandelt wurde. Nein, es stand nicht auf der Tagesordnung, was angesichts der Alarmsignale von so vielen Regionen des Planeten nötig wäre: dass die Staaten gemeinsam beschließen, ihre Klimaschutzanstrengungen sofort massiv zu verstärken. Und dass sie die ärmsten und verwundbarsten Staaten der Erde solidarisch dabei unterstützen, mit den bereits heute eintretenden Klimaschäden fertig werden.

Auf der Tagesordnung standen stattdessen vor allem die „Spielregeln“ des internationalen Emissionshandels – das „Kleingedruckte“ für Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens. Dank des Widerstands einer Koalition aus besonders verwundbaren Staaten und der EU wurde in Madrid zumindest der Versuch abgewehrt, hier Regeln zu vereinbaren, die diesen Emissionshandel zu einem Riesenbetrug an der internationalen Öffentlichkeit gemacht hätten. Doch die Ereignisse zeigten auch auf, warum internationaler Emissionshandel eine schlechte Idee ist, und daher das Scheitern der Verhandlungen um Artikel 6 vielleicht das Beste ist, was man von den Klimaverhandlungen zu diesem Thema erwarten kann.

Internationaler Emissionshandel handelt mit einem besonderen Gut: Emissionsminderungen in einem Land, die als Gutschriften in einem anderen Land auf die jeweiligen Ziele angerechnet werden können. Sie können dem Käuferland also erlauben, dass dort mehr emittiert wird, als eigentlich international versprochen.

Ökonomen preisen diesen Handel gerne als Möglichkeit an, internationale Klimaziele billiger zu erreichen – und weil es billiger ist, so argumentieren sie, werden die Staaten eher bereit sein, ambitioniertere Ziele zu setzen. Doch beruht diese Argumentation auf Wunschvorstellungen, auf Voraussetzungen, die in der Wirklichkeit nicht anzutreffen ist.

Emissionsminderungen werden gemessen an den Zielen, die sich Staaten unter dem Pariser Klimaabkommen gesetzt haben. Es sind Selbstverpflichtungen: Nationally Determined Contributions (NDCs) – national bestimmte Klimaschutzbeiträge – werden diese Ziele im Jargon des Abkommens genannt. Sie sind bisher bei weitem nicht ausreichend, um die globalen Temperaturziele des Pariser Abkommens – den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf deutlich unter 2°C, hoffentlich sogar 1,5°C zu begrenzen – zu erreichen. Nach Angaben eines im November veröffentlichten Berichts der Umweltorganisation der Vereinten Nationen summieren sich diese Selbstverpflichtungen im Jahr 2020 auf rund 55 Gigatonnen CO2-Äquivalent – das ist mehr als das Doppelte der 25Gt, die die Welt unter einem 1,5°C Szenario ausstoßen darf, und immer noch etwa 50% mehr als das, was für einen 1,8°C Pfad notwendig wäre.

Um eine Analogie aus der Leichtathletik – dem Stabhochsprung –  zu nehmen: Die Staaten setzen sich selbst in den NDCs eine Messlatte. Und zwar alle paar Jahre immer wieder aufs Neue. Und nun soll der Emissionshandel unter Artikel 6 Staaten ermöglichen, die Differenz zwischen der Messlatte und ihrer tatsächlichen Sprunghöhe zu Geld zu machen. Welchen Anreiz gibt solch ein System für die Höhe der Messlatte? Natürlich diese Latte möglichst tief zu hängen, damit man die Latte möglichst leicht überspringt. Ein perverser Anreiz in einer Situation, in der die Staaten gemeinsam eigentlich ihre Messlatten mehr als doppelt so hoch setzen müssten als sie es aktuell tun. So kann internationaler Klimaschutz nicht funktionieren.

Madrid zeigte aber noch eine zweite Wirkung des internationalen Emissionshandels, die dem unvoreingenommenen Betrachter als abstrus erscheinen muss: Die handelbaren Emissionsreduktionen, die andernorts als Emissionsrechte anerkannt werden, mutieren zu einem Wertpapier, einem Vermögensgegenstand – einem Asset in der Sprache der Finanzbranche. Und jeder der einen Vermögensgegenstand hat, kämpft dafür, dass dieser seinen Wert behält. Dass also die einmal geschaffenen Emissionsrechte weiterhin als solche anerkannt werden.

Dies war einer der strittigen Punkte in Madrid: Nach den Vorstellungen einiger Staaten sollten Emissionsreduktionen aus dem Emissionshandel des Kyoto-Protokolls (CDM) auch unter dem Pariser Klimaabkommen als Emissionsrechte anerkannt werden. Und dies obwohl mittlerweile Fachleute sagen, dass diese sogenannten CDM-Credits zu einem sehr hohen Anteil keine „echten“ Emissionsminderungen repräsentieren, sondern durch allerlei faule Tricks zustande kamen. Doch die politische Ökonomie des internationalen Emissionshandels führt dazu, dass das in ein Wertpapier verwandelte Emissionsrecht Fürsprecher unter den Staaten findet, die für seine weitere Gültigkeit kämpfen. Und all dies zu einer Zeit, in der die Zahl der Emissionsrechte drastisch reduziert, ja halbiert werden müsste.

Zu allerletzt warf Madrid das Scheinwerferlicht noch auf eine weitere dunkle Stelle des internationalen Emissionshandels. Unter dem bisherigen CDM konnten Industrieländer solche Gutschriften aus Entwicklungsländern ihren Anstrengungen gutschreiben lassen, ohne dass die verkaufenden Länder die entsprechenden dann höheren Emissionen der Industrieländer in ihrer Emissionsbuchhaltung berücksichtigen mussten.

Die globale Emissionsbuchhaltung hatte ein schwarzes Loch, in dem Emissionen buchhalterisch verschwanden. Und Brasilien – unter dem Präsidenten Bolsonaro zu einem Klima-Schurkenstaat mutiert – kämpfte in Madrid hart dafür, dieses Loch weiterhin offen zu lassen. Also Emissionsminderungen an andere Länder zu verkaufen und doch weiterhin den eigenen Klimaanstrengungen gutzuschreiben. Aus einer Tonne Emissionsminderung würden so plötzlich zwei – der Lockreiz des großen Geldes verführt zu allerlei Akrobatik. Doch die Erdatmosphäre verzeiht reale CO2-Emissionen nicht – sie erwärmt sich, völlig unbeeindruckt von den Buchhaltungstricks der Staaten.

Unter einem System national bestimmter Selbstverpflichtungen, wie es in Paris beschlossen wurde, setzt der Emissionshandel massive Anreize in die falsche Richtung, und zwar aufgrund des iterativen Prozesses der Selbstverpflichtungen auf Dauer – nicht nur einmal. Die Verhandlungen zu Artikel 6 sollten daher eingestellt werden. Nicht immer wird in den Klimaverhandlungen auch Klimaschutz verhandelt. Daher war unter den gegebenen Bedingungen das Scheitern der Madrider Verhandlungen zu Artikel 6 ein Glücksfall.


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