Vielleicht war es absehbar und zu erwarten – aber es ist trotzdem erschreckend: Die Plastikindustrie nutzt die derzeitige Verunsicherung und Sorge von Verbraucherinnen und Verbrauchern, um ihr problematisches Produkt noch besser zu verkaufen, Regulierungen zu bekämpfen und die Kunststoffproduktion im Schattenwind der Coronakrise noch weiter hochzufahren.
Der größte europäische Plastikproduzent, INEOS, hat beispielsweise angekündigt, zwei Fabriken zur Herstellung von Handdesinfektionsmittel zu bauen und diese während der Pandemie kostenlos dem britischen Gesundheitsdienst NHS zur Verfügung zu stellen. Das Produktionsziel liegt bei einer Million Flaschen pro Monat und Fabrik.
New York fordert die Aufhebung des landesweiten Verbots von Plastiktüten, Ketten wie Starbucks und Dunkin Donuts, setzen die Verwendung von wiederverwendbaren Bechern aus, Restaurants und Cafés stellen auf Einweg-Plastik (Taschen, Behälter, Becher, Besteck) um und so weiter. Das Narrative der Industrie: Einmalplastik isei hygienisch und sicher.
Doch entgegen dem, was die Kunststoffindustrie uns glauben machen will, überlebt das Coronavirus in übertragbarer Form auf allen Oberflächen, also auch auf Plastik. Eine neue Studie des New England Journal of Medicine hat gezeigt, dass das Virus auf Kunststoffoberflächen zwei bis drei Tage lang stabil sein könnte.
Und wir sollten nicht vergessen: Der gesamte Lebenszyklus von Plastik ist gefährlich für die menschliche Gesundheit – von der Gewinnung der Rohstoffe (Erdöl/Erdgas) bis zur Entsorgung des Mülls. Diese wichtige Erkenntnis, die sich gerade in den letzten Monaten erst so richtig im Bewusstsein der Menschen zu verankern begann, will die Industrie nun im Windschatten der Umbrüche und Unsicherheiten ins Gegenteil verkehren.
Angesichts dieser Aktivitäten der Pro-Plastik-Lobby fragen politische Kommentator/innen zu Recht: Can the zero-waste movement survive the coronavirus? Ich würde sagen: Es muss gelingen! Die gerade erst dämmernde Jahrhundertkrise der Erdöl- und Erdgasbranche könnte da ein entscheidender Einschnitt sein:
Die globalen Erdölpreise haben sich seit Anfang dieses Monats ungefähr halbiert, da die Nachfrage massiv gesunken ist (kaum noch Flüge, Millionen von Pendlern bleiben zu Hause usw.). Wenn die Wirtschaft weiter so schrumpft, könnte sich der weltweite Verbrauch in den kommenden Monaten um 10 bis 25 Prozent verringern. Das Ausmaß dieses Nachfrageeinbruchs ist so groß, dass es den Preiskrieg zwischen Saudi-Arabien und Russland überschattet. Diese beiden Ölmächte überschwemmen nämlich aktuell den Markt mit großen Mengen an billigem Erdöl und schauen, wer wohl länger durchhält.
Absehbar ist, dass die teuersten Erdöl- und Erdgasprojekte am schnellsten in finanzielle Schwierigkeiten geraten – so vor allem die Fracking-Industrie in den USA, die auch den Rohstoff für den globalen Plastikboom liefert. Doch der Preissturz ist eine Katastrophe für diejenigen Entwicklungs- und Schwellenländer, deren Staatseinnahmen zu einem Großteil aus dem Ölgeschäft stammen – Venezuela, Nigeria usw. Sozial abfedern kann man diesen Umbruch in einem solchen Tempo und unter solchen Bedingungen jedenfalls nicht.
Außerdem ist es mehr als nur ärgerlich, dass in Nordamerika und Europa die erdölproduzierenden und konsumierenden Industrien bereits absehbar zu den Gewinnern der Konjunktur- und staatlichen Hilfsprogramme zählen werden.
Hoffnung gibt mir, dass wir aktuell lernen, wie wichtig es ist, Politik auf Basis wissenschaftlicher Fakten zu machen und Entscheidungen – auch gegen den Widerstand mächtiger Partikularinteressen – im Sinne des Gemeinwohls umzusetzen. Das ist in jedem Fall der Mindset, den wir auch für die Lösung der Plastikkrise benötigen.
Hier ist eine hilfreiche Materialsammlung von Mitgliedern der Break Free From Plastic Bewegung zum Thema Plastik, Zero Waste und Corona:
PLASTIC POLLUTION, REUSE AND COVID-19 and Plastic Industry Exploits Coronavirus to Prop up Single Use Plastic by UPSTREAM
Industry should not exploit COVID-19 to push more plastic pollution by Greenpeace
COVID-19 Virus Lives At Least 2x as Long on Plastic Compared to Cardboard by Plastic Pollution Coalition featuring Dr. Pete Meyers
Coronavirus and Packaging by Food Packaging Forum
“Do No Harm” In The Time of Global Pandemic by Healthcare Without Harm Asia
Reuse Revolution Movement in the Middle of a Pandemic by Rahyang Nusantara (Diet Kantong Plastik- IDDKP)
Principles for a #JustRecovery from COVID-19 (sign on statement) by 350.org
Plastic Pollution during the Pandemic: Reusables are Still Safe by Surfrider Foundation