„Produkte aus Kunststoff bieten enorme Vorteile. Sie tragen dazu bei, dass Energie gespart und weniger Treibhausgase ausgestoßen werden.“ So stellt es gerne die Industrie dar (z.B. auf der von PlasticsEurope und dem Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie betriebenen Website Kunststoff Kann’s).
Oder so: „Kein Windrad dreht sich ohne Kunststoff, keine Solarzelle erzeugt Strom ohne polymeres Know-how. Damit ist der Werkstoff entscheidender Wegbereiter für die Energiewende und für das Erreichen der Pariser Klimaziele.“ (PlasticsEurope zum Tag der Umwelt 2018).
Klingt auf den ersten Blick vielleicht logisch. Ist aber: Unsinn. Solche Botschaften tragen nur dann einen Hauch von Wahrheit in sich, wenn man die Thematik absolut schmalspurig und einseitig betrachtet und den ganzen Prozess der Produktion und Entsorgung von Plastik ausblendet.
Eine heute erschienene Studie Plastic & Climate: The Hidden Costs of a Plastic Planet des Center for International Environmental Law (CIEL) und weiteren Partnerorganisationen (Break Free From Plastic, Global Alliance for Incinerator Alternatives, FracTracker Alliancer , 5Gyres und Environmental Integrity Project) hat sich die Emissionen und Klimabilanz von Plastik entlang des gesamten Lebenszyklus angeschaut – von der Extraktion der fossilen Rohstoffe (Erdöl und Erdgas) bis hin zur Entsorgung von Plastik in der Umwelt. Die Ergebnisse sind erschreckend:
- Im Jahr 2019 alleine wird die Produktion und Verbrennung von Kunststoffen mehr als 850 Millionen Tonnen Treibhausgase (metric tons of greenhouse gases) in die Atmosphäre schicken. Das entspricht den Emissionen von 189 neuen Kohlekraftwerken
- Wenn die Produktion von Plastik so ansteigt, wie von der Industrie geplant, werden die Emissionen bis 2030 1,34 Gigatonnen pro Jahr erreichen. Das entspricht den Emissionen von mehr als 295 Kohlekraftwerken.
- Bis 2050 könnten es dann bis zu 56 Gigatonnen werden. Dann würde Plastik alleine fast 14 Prozent des gesamten CO2-Budgets auffressen, dass uns zur Erreichung des 1,5 Grad Ziels zur Verfügung steht.
Sehr wichtig: methodisch haben sich die Autor/innen der Studie auf sehr konservative Schätzungen und Zahlen gestützt und betonen auch immer wieder, dass es einige Bereiche gibt, in denen die Emissionen noch deutlich höher liegen können bzw. viele Aspekte, bei denen keine klaren Berechnungen, Messungen oder Schätzungen vorliegen. Die Situation ist also vermutlich noch schlimmer als in der Studie dargestellt.
Außerdem ist relevant: Diese dramatischen Summen ergeben sich nicht nur aus den hohen Emissionen, die bei der energieintensiven Herstellung von Plastik oder bei der Verbrennung von Kunststoffabfällen anfallen. Sondern entstehen eben entlang des gesamten Lebenszyklus. Dabei beleuchtet die Studie „Plastic & Climate“ eben vor allem Bereiche, die ansonsten gerne verschwiegen werden.
Allen voran geht es um die Rohstoffbasis von Plastik. 99 Prozent allen Plastiks wird aus Öl und Gas (und selten auch aus Kohle) hergestellt. Vor allem in den USA plant die Industrie eine gigantische Expansion ihrer Produktionskapazitäten und investiert in immer neue Fracking-Bohrlöcher, Pipelines und sog. „Cracker“ (Fabriken, in denen z.B. Rohöl in Ethylen und Propylen, die Basischemikalien für die Kunststoffproduktion, zerlegt wird).
Hier zwei Beispiele aus dem Bericht:
In western Pennsylvania, a new Shell natural gas products processing plant being constructed to provide ingredients for the plastics industry (called an “ethane cracker”) could emit up to 2.25 million tons of greenhouse gas pollution each year (carbon dioxide equivalent tons). A new ethylene plant at ExxonMobil’s Baytown refinery along the Texas Gulf Coast will release up to 1.4 million tons, according to the Plastic and Climate report. Annual emissions from just these two new facilities would be equal to adding almost 800,000 new cars to the road. Yet they are only two among more than 300 new petrochemical projects being built in the US alone, primarily for the production of plastic and plastic additives.
Wie dieses gefrackte Gas auch als Rohstoff für die Plastikproduktion nach Europa gelangt und welche unrühmliche Rolle da der britische Konzern Ineos spielt, haben wir bereits in diesem Beitrag beschrieben. Weitere Bericht gibt es u.a. bei der Deutschen Welle.
Eine weitere Geschichte, die beim Zusammenhang von Plastik und Klimawandel noch eher unbekannt und teilweise unerforscht ist, dreht sich um die Auswirkungen von Plastikmüll (und vor allem Mikroplastik) in den Meeren. Hier gibt es zwei Dinge hervorzuheben:
Die Ozeane absorbieren einen signifikanten Teil der Emissionen, konkret: bis zu 40 Prozent der menschengemachten CO2-Emissionen wurden seit Beginn der Industrialisierung von den Meeren absorbiert. Hierbei spielt die sog. biologische Kohlenstoffpumpe in den Ozeanen eine zentrale Rolle. Neue Studien deuten nun darauf hin, dass diese durch die weite Verbreitung von Mikroplastik gestört werden könnte. Die Plastikverschmutzung der Meere könnte also die zentrale Senkenfunktion dieser wichtigen Ökosysteme untergraben. Hier gibt es sehr dringenden Forschungsbedarf!
Außerdem ist inzwischen klar, dass Plastikteilchen, wenn sie in der Umwelt liegen (an Land, in den Meeren, in Flüssen…) Treibhausgase emittieren. Die (sehr langsame!) Zersetzung des (fossil-basierten) Plastiks beginnt, sobald Plastik verschiedenen Umweltbedingungen ausgesetzt ist: Wasser, Sonnenlicht usw. Mit der Zeit wird das Material schwächer und spröde, um schließlich in kleinere Teile zu zerfallen. Auch wenn das Sonnenlicht für die Auslösung des Prozesses wichtig ist, zeigen Studien klar, dass der Zersetzungsprozess voranschreitet, auch wenn das Plastik keinen Kontakt mehr mit Sonnenlicht hat (z.B. in den tieferen Ozeanschichten). Mit Zunahme von Plastik in der Umwelt und mit Zunahme von Mikroplastik (die Größe der Oberfläche ist entscheidend, weil mit größerer Fläche auch mehr Emissionen auftreten) verstärkt sich dieser Effekt und wird sehr lange andauern.
Klar ist also: Die Plastikkrise heizt die Klimakrise an – und umgekehrt. Die positiven Nachrichten sind: viele der Lösungen, die zur Eindämmung der Plastikflut beitragen würden, helfen auch dem Klima. Der aktuelle Bericht hebt dabei besonders die folgenden Maßnahmen hervor:
- Keine Produktion und Nutzung von Einmal- / Wegwerfplastik;
- Stopp der Entwicklung neuer Erdöl-, Erdgas- und Petrochemie-Infrastruktur;
- Aufbau und Stärkung von „Zero Waste“ Gemeinschaften und Ansätzen;
- Implementierung von erweiterter Produzentenverantwortung (extended producer responsibility) in einer echten Kreislaufwirtschaft;
- Umsetzung ambitionierter Emissionsreduktionsmaßnahmen für allen Sektoren, inkl. der Plastikproduktion.
Übrigens: Mehr zum Thema Plastik & Klima gibt es im Plastikatlas, den wir am 6. Juni gemeinsam mit dem BUND publizieren.