Die Atomlobby beschwichtigt dieser Tage, dass in den USA ein so starkes Erdbeben oder gar Tsunami wie in Japan unwahrscheinlich sei. Schaut man jedoch, wo AKWs in erdbebengefährdeten Zonen betrieben werden, entpuppen sich einige Meiler als tickende Zeitbomben. Zwei davon, San Onofre und Diabolo Canyon, stehen in Kalifornien.
Wie Reymer Klüver in der Süddeutschen Zeitung berichtet, liegt das kalifornische AKW San Onofre „auf halbem Weg zwischen der südkalifornischen Millionenstadt San Diego und der Megametropole Los Angeles. Mehr als sieben Millionen Menschen leben im Umkreis von nur 80 Kilometern, weit mehr als im selben Radius um Fukushima: Das ist der Stoff, aus dem Megakatastrophen sind.“ Drei sehr aktive Bruchlinien befinden sich in unmittelbarer Nähe: in 35, 70 und 90 Kilometern Entfernung, darunter der berüchtigte San-Andreas-Graben.
Karte: Kimberly Leonard vom Center for Public Integrity.
Kurios: Nur zwei Wochen vor dem japanischen Tsunami warnten zehn kalifornische Abgeordnete das US-Energieministerium davor, dass beide AKWs in ihrem Bundesstaat anfälliger für Erdbeben seien als bislang angenommen. Besonders die Anlage San Onofre sei entgegen der Angaben des Betreibers nicht gegen Erdbeben und Tsunamis gewappnet. (Übrigens ist auch dieser Reaktor ein Paradebeispiel für die finanziellen Abenteuer, in die Steuerzahler immer wieder von der Atomindustrie hineingerissen werden. Das Kraftwerk wurde 1968 mit 188 Millionen US$ veranschlagt. Am Ende, als die beiden Reaktorblöcke in den 80er Jahren endlich ans Netz gingen, summierten sich die Kosten auf 5,5 Milliarden US$. Alles bezahlt von kalifornischen Stromkunden und Steuerzahlern.)
Wie steht es also um die Sicherheitsstandards bei Erdbeben? Die Behörden des Bundesstaates Kalifornien hätten dazu zwar viel zu sagen, aber haben wenig zu entscheiden. Einmal mehr kommt hier die nationale Atomaufsichtsbehörde NRC ins Spiel. Sie legt die Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke fest, überprüft deren Einhaltung und vergibt auf dieser Grundlage Betriebslizenzen. Als der Reaktor Diablo Canyon Mitte der 80er Jahre ans Netz ging, wurde ein Notfallplan im Falle eines Erdbebens nicht verlangt, wie Kris Kerham in der Huffington Post erläutert. Ein schweres Versäumnis der NRC, die sogar entsprechende Forderungen bekämpfte, dass ein solcher Erdbeben-Notfallplan verpflichtend für kalifornische Kraftwerke eingeführt wird. Es besteht also Nachholbedarf. Die NRC dürfe die Erdbebengefahr nicht länger ignorieren, fordert zum Beispiel der republikanische State Senator Sam Blakeslee, ein Geophysiker mit Schwerpunkt Erdbebenforschung.
Der Druck auf die NRC steigt, schärfere Sicherheitsstandards durchzusetzen. Dieser Tage hat die staatseigene Tennessee Valley Authority (TVA) ihre Pforten geöffnet, um Reportern Einblicke in den Betrieb eines Atomkraftwerkes in Alabama zu liefern. Ein bislang einmaliger Vorgang, der eine Flucht nach vorn gleich kommt, weil sich die kritischen Nachfragen zur atomfreundlichen NRC und den zu laschen Sicherheitsstandards häufen. Die Erdbebendebatte läuft inzwischen quer durch die USA, in Kalifornien, in New York State wie zuvor gebloggt, aber auch in South Carolina. Diese interaktive Karte zeigt, wo AKWs stehen und kürzlich Erdbeben gemessen wurden bzw. wo die 15 größten Erdbeben in der Geschichte der USA ganze Landstriche ins Wanken brachten. Das stärkste Erdbeben in ihrer Geschichte erlebten die USA pazifischen Nordwesten um 1700 als noch keine AKWs betrieben wurden. Die Zeiger der Richterskala wären bis auf 9,0 ausgeschlagen, also fast die gleiche Stärke wie das Beben vor der japanischen Küste.